Zollrechtsrevision

Modernisierte Rechtsmittel im BAZG-VG

People sitting around an office table in a meeting room
  • Insight
  • 6 minute read
  • 12/08/25

Mehr Zeit, mehr Flexibilität, mehr Digitalisierung

Im neuen BAZG-Vollzugsaufgabengesetz (BAZG-VG), das das aktuelle Zollgesetz voraussichtlich gegen Ende 2027 / Anfang 2028 ersetzen wird, werden die Rechtsmittel grundlegend modernisiert und vereinheitlicht. Künftig gilt ein einheitliches Einspracheverfahren für sämtliche vom BAZG erhobenen Abgaben – von klassischen Zollabgaben über die Mineralöl-, Automobil- und Tabaksteuer bis hin zur Biersteuer. Damit fallen die bisherigen, oft unterschiedlichen Regelungen der Spezialgesetze weg. Für Unternehmen bedeutet das: einheitliche Fristen, klar strukturierte Abläufe und eine deutliche Reduktion der Komplexität im Umgang mit dem Zoll.

Hintergrund der Reform: mehr Fairness und Digitalisierung

Die Reform ist eine direkte Antwort auf langjährige Kritik aus Wirtschaft und Politik. Insbesondere das Postulat de Courten (17.3377) forderte, die Wirtschaft nicht durch zu kurze und formalistische Fristen zu benachteiligen. Während das BAZG bislang ein Jahr Zeit für Nachforderungen oder sogar mindestens fünf Jahre für Nachbezüge (gestützt auf das Verwaltungsstrafverfahren) hatte, mussten Unternehmen Berichtigungen oder Beschwerden innert 30 bzw. 60 Tagen einreichen – eine klare Ungleichbehandlung, die nun beseitigt werden soll.

Auch der Wunsch nach mehr Flexibilität beim elektronischen Verfahren wurde aufgegriffen. Das neue Gesetz schafft einen ausgewogenen Rahmen zwischen Digitalisierung und praxistauglichen Ausnahmen – insbesondere für KMU und den Reiseverkehr.

Das neue Einspracheverfahren im Überblick

Das BAZG-VG dehnt das Einspracheverfahren auf sämtliche vom BAZG erhobenen Abgaben aus. Die bisherigen, teils unterschiedlichen Regelungen in den Spezialgesetzen entfallen vollständig. Unternehmen profitieren von einheitlichen Fristen und Abläufen – der administrative Aufwand und die Fehleranfälligkeit werden deutlich reduziert.

Das BAZG-VG regelt das Einspracheverfahren eigenständig und ersetzt das bisherige Berichtigungsverfahren nach Artikel 34 Zollgesetz. Soweit das Gesetz keine spezifischen Vorgaben macht, gelten die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVG) sinngemäss. Das schafft Rechtssicherheit und Transparenz im Ablauf. Die Korrekturmöglichkeiten für Unternehmen werden vereinfacht und erweitert.

Grundsätzlich wird das Einspracheverfahren elektronisch über das Informationssystem des BAZG geführt, wobei keine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist. In bestimmten Fällen – etwa im Reiseverkehr oder wenn die betroffene Person nicht im System registriert ist – bleibt der Papierweg weiterhin möglich. Unternehmen und Privatpersonen können zudem freiwillig vom Papier- ins elektronische Verfahren wechseln, sofern sie sich registrieren und authentifizieren. Ziel ist ein möglichst durchgängiges Verfahren ohne Medienbrüche und eine Reduktion des Formalismus.

Ein Novum im BAZG-VG ist, dass die Behörde Einsprachen automatisiert bearbeiten kann, wenn der Sachverhalt klar ist und das Gesetz keinen Ermessensspielraum lässt. Eine Risikoanalyse prüft, ob eine automatisierte Erledigung möglich ist. Für Unternehmen bedeutet das: schnellere Entscheidungen und weniger Verwaltungsaufwand – insbesondere bei einfachen Korrekturen wie Mengen- oder Wertanpassungen oder der nachträglichen Vorlage von Ursprungsnachweisen. Komplexere oder strittige Fälle werden weiterhin durch eine natürliche Person beim BAZG geprüft.

Die Einsprache ist ausschliesslich gegen Veranlagungsverfügungen möglich – und zwar für alle betroffenen Abgabearten. Andere Verfügungen, etwa Bewilligungen, sind direkt mit einer verwaltungsinternen Beschwerde (Frist: 60 Tage) anfechtbar. Die Einsprachefrist beträgt neu ein Jahr ab Eröffnung der Veranlagungsverfügung – ein bedeutender Fortschritt gegenüber den bisherigen 30 bzw. 60 Tagen und ein Pendant zur Nachforderungsfrist des BAZG im Zollrecht. Unternehmen erhalten so gleich lange Spiesse und mehr Zeit, um Unterlagen nachzureichen oder Fehler zu korrigieren.

Das Einspracheverfahren ist gebührenfrei – es werden keine Kosten erhoben und auch keine Parteientschädigungen ausgerichtet. Im Vergleich zum bisherigen Berichtigungs- oder Beschwerdeverfahren bietet die Einsprache mehr Flexibilität und einen grösseren Korrekturradius – etwa für nachträglich ausgestellte Ursprungsnachweise, die nicht mehr eine provisorische Zollanmeldung bei der Einfuhr erfordern.

Gegen den Einspracheentscheid des BAZG kann innert 60 Tagen verwaltungsintern Beschwerde erhoben werden – allerdings nur, wenn zuvor eine Einsprache erfolgt ist. Auch dieses Verfahren ist grundsätzlich elektronisch, mit den gleichen Ausnahmen wie oben. Die Beschwerde wird von einer anderen Stelle innerhalb des BAZG beurteilt als die ursprüngliche Einsprache – um die Objektivität sicherzustellen.

Die Einsprache ersetzt das bisherige Berichtigungsverfahren nach Artikel 34 Zollgesetz und dient künftig auch zur Korrektur von Fällen, die bislang über die provisorische Veranlagung abgewickelt wurden. Das bedeutet: mehr Flexibilität bei nachträglichen Korrekturen und weniger formale Hürden.

Rechtsmittelkaskade bei Veranlagungsverfügungen:

Zeitstrahl der Zollgesetzrevision mit Meilensteinen von 2021 bis zum geplanten Inkrafttreten 2028

Praxisrelevanz für Unternehmen und kritische Aspekte

Mehr Effizienz und Flexibilität im Zollverfahren

Die Reform der Rechtsmittel bringt zahlreiche praktische Vorteile für Unternehmen mit sich, die ihre Zollprozesse effizienter und flexibler gestalten möchten:

Die einjährige Einsprachefrist gibt Unternehmen die notwendige Flexibilität, um auch komplizierte Sachverhalte oder nachträglich eingereichte Dokumente (z. B. Ursprungsnachweise) geltend zu machen.

Die Vereinheitlichung des Verfahrens über alle Abgabearten hinweg reduziert den administrativen Aufwand und die Fehleranfälligkeit. Unternehmen müssen sich künftig nicht mehr mit unterschiedlichen Fristen und Verfahren je nach Abgabeart auseinandersetzen, sondern profitieren von klaren, transparenten und einheitlichen Regeln.

Die elektronische Abwicklung wird zum Regelfall, was die Prozesse beschleunigt und Medienbrüche vermeidet. Gleichzeitig bleibt das System für Sonderfälle flexibel und ermöglicht weiterhin papierbasierte Verfahren.

Das Einspracheverfahren ist kostenlos – ein klarer Vorteil gegenüber vielen anderen Verwaltungsverfahren.

Bei klaren und unkomplizierten Sachverhalten kann das BAZG Einsprachen automatisiert bearbeiten. Für Unternehmen bedeutet das: rasche Entscheidungen und weniger Verwaltungsaufwand.

Beispiel (aus der Botschaft zum BAZG-VG):
Ein Importeur meldet versehentlich 10 Tonnen statt 1 Tonne an. Die Risikoanalyse des BAZG erkennt, dass dieser Importeur üblicherweise 1 Tonne importiert und kann die Einsprache automatisiert gutheissen.

Kritische Fragen zur Umsetzung bleiben

Diese Verbesserungen werden vom BAZG als zentrale Vorteile des neuen Rechtsmittelverfahrens hervorgehoben und sollen die Zollbeteiligten mit Inkrafttreten des neuen Zollrechts entlasten. Allerdings zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass einige Aspekte in der praktischen Umsetzung noch Fragen aufwerfen und kritisch hinterfragt werden sollten:

Zwar verspricht das BAZG einen deutlich erweiterten Korrekturradius für Fehler in der Warenanmeldung. Doch auch künftig gilt: Die Angaben in der Anmeldung sind verbindlich und die Beweislast für nachträgliche Änderungen liegt bei der Person, die daraus Rechte ableiten möchte. Gerade im Nachgang – wenn die Ware nicht mehr physisch verfügbar ist – kann ein Nachweis schwierig sein. Beispielsweise muss bei einer nachträglichen Warenanalyse belegt werden, dass es sich bei der analysierten Ware auch tatsächlich um die ursprünglich angemeldete Sendung handelt.

Die Sorgfaltspflicht und das Selbstanmeldeprinzip sind Eckpfeiler der heutigen Zollanmeldung. So schliesst eine Verletzung der Sorgfaltspflicht eine Berichtigung nach Artikel 34 Zollgesetz aus, auch wenn der neue Sachverhalt eindeutig und nachgewiesen ist (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5586/2023 vom 18. Dezember 2024). Bisher konnten Unternehmen durch provisorische Zollanmeldungen ihre Sorgfaltspflicht wahren und unvollständige Angaben entsprechend markieren. Diese Möglichkeit entfällt künftig. Unternehmen sind gezwungen, alle Angaben als endgültig und verbindlich zu deklarieren – selbst dann, wenn eine spätere Korrektur absehbar ist.

Die daraus resultierenden Risiken zeigt folgendes Beispiel:
Ein Produkt wird importiert, dessen VOC-Gehalt unbekannt ist und erst nach der Einfuhr analysiert wird. Der Zollbeteiligte meldet vorsorglich den maximalen VOC-Gehalt von 100 % an. Dies führt zu mehreren potenziellen Problemen:

  • Verzögerungen: Die Zollstelle könnte den hohen VOC-Gehalt – zurecht – anzweifeln und Rückfragen stellen, da sie von endgültigen Angaben ausgehen muss.
  • Strafrechtliche Konsequenzen: Der Anmelder hat vorsätzlich eine falsche Warenanmeldung eingereicht. Auch wenn keine Abgabenhinterziehung vorliegt, könnte dies eine Ordnungswidrigkeit gemäss Artikel 207 BAZG-VG darstellen, die mit bis zu 5’000 Franken bestraft werden kann.
  • Schlechteres Firmenrating: Eine Korrektur der Warenanmeldung bedeutet für das System eine fehlerhafte Erstmeldung – dies kann sich negativ auf das Firmenrating auswirken.
  • Ineffizientere Kontrollen: Richtlinie 67 sieht vor, dass bei provisorischen VOC-Werten eine Musterentnahme angeordnet wird. Es bleibt unklar, wie das BAZG künftig solche Fälle mit abweichenden Risikoprofilen erkennen und entsprechend reagieren will.

Das BAZG hat hohe Ambitionen mit der «intelligenten Risikoanalyse» und die automatisierte Bearbeitung von Einsprachen ist ein bedeutender Fortschritt. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie viele Fälle tatsächlich für eine IT-gestützte Entscheidung geeignet sind. Während einfache und risikofreie Änderungen – wie Adress- oder Zahlungsangaben – problemlos automatisiert werden können, sind weitergehende Sachverhalte in der Praxis häufig komplex und bedürfen individueller Prüfung. Besonders das in der Botschaft erwähnte Beispiel, das eine anspruchsvolle Mustererkennung verlangt, erscheint derzeit noch sehr futuristisch.

Fazit – ein modernes, faires und unternehmensfreundliches Rechtsmittel

Mit dem neuen BAZG-VG wird das Einspracheverfahren nicht nur digitaler und effizienter, sondern auch fairer und praxistauglicher. Unternehmen erhalten mehr Zeit, mehr Flexibilität und mehr Rechtssicherheit. Die Reform ist ein wichtiger Schritt hin zu einer modernen Zollverwaltung, die die Bedürfnisse der Wirtschaft ernst nimmt und die Digitalisierung gezielt nutzt – ohne den Bezug zur Praxis zu verlieren.

Wichtig ist jedoch: Das neue Einspracheverfahren tritt erst mit Inkrafttreten des BAZG-VG in Kraft. Für die elektronische Durchführung und die automatisierte Bearbeitung ist zudem die technische Umsetzung durch das BAZG erforderlich.

Während der Verfahrensablauf künftig einfacher wird, bleiben die materiellen Anforderungen weiterhin hoch und dürfen nicht unterschätzt werden. Unternehmen brauchen fundierte Zollexpertise, um den Anforderungen gerecht zu werden, sowie effektive interne Kontrollprozesse, um frühzeitig zu erkennen, wann eine Einsprache notwendig und sinnvoll ist.

Deshalb sollten Unternehmen die Entwicklungen sorgfältig verfolgen, sich mit den neuen Abläufen vertraut machen, interne Prozesse anpassen und das eigene Personal gezielt schulen. So können sie die Vorteile des neuen Verfahrens voll ausschöpfen und gleichzeitig den hohen Anforderungen gerecht werden.

Praxisnah beraten: So meistern Sie die neuen Abläufe

Auch wenn noch nicht alle Fragen geklärt sind, zeigt sich, dass die neuen Rechtsmittel des BAZG-VG nicht nur die Rechtssicherheit stärken, sondern auch den administrativen Aufwand für die Wirtschaft spürbar reduzieren. Dies eröffnet den Zollbeteiligten neue Spielräume und trägt dazu bei, die Zollabwicklung an die Anforderungen einer modernen, digitalisierten Wirtschaft anzupassen. Dennoch wird auch im künftigen Verfahren Zollexpertise unabdingbar sein.

Wer bei der Umsetzung oder im Umgang mit den neuen Abläufen Unterstützung benötigt, kann auf unsere Expertise und praxisnahen Services zählen – wir begleiten Sie gerne durch die neuen Verfahrensschritte.

Christina Haas Bruni
Christina Haas Bruni

Senior Manager, Customs & International Trade, PwC Switzerland

Nils Beutling
Nils Beutling

Senior Associate, Customs & International Trade, PwC Switzerland