Im Fokus: Robotisierung

Bereit für den Cobot


Simon Treis
Director, Advisory

Die Robotisierung eröffnet der verarbeitenden Industrie eine Fülle völlig neuer Optionen und ebnet den Weg für Schweizer Unternehmen zu einer höheren Wettbewerbsfähigkeit in der heutigen globalisierten Wirtschaft. Bei dieser Entwicklung spielen sogenannte kollaborative Roboter (Cobots) eine zentrale Rolle. Cobots interagieren mit dem Menschen, lernen, eliminieren Fehler und verschaffen sowohl den Arbeitskräften als auch den Unternehmen mehr Flexibilität und einen neuartigen Spielraum. Cobots sind die Vertreter einer neuen Generation von Industrierobotern. Und sie fordern den produzierenden Sektor zum Umdenken auf.

lle sprechen von Industrie 4.0. Doch wer weiss, was sie bedeutet? Und wer hat sie umgesetzt? Der Digitalisierungsgrad in der Fertigung variiert, und die Hersteller sind unterschiedlich weit fortgeschritten (Abbildung 1). Das Gesamtpotenzial der Digitalisierung im Industriebereich wird noch lange nicht ausgeschöpft.

«Industry 4.0 study 2017: Digital Factories 2020, Shaping the future of manufacturing», globale PwC Studie 2017

Die meisten digitalen Technologien, die heute in den Fabriken implementiert werden – und höchstwahrscheinlich auch diejenigen, die für eine Implementierung in den nächsten fünf Jahren vorgesehen sind –, steigern zwar die Effizienz. Trotzdem sind sie noch immer auf die traditionellen Modelle der Montagelinien angewiesen, wie sie Henry Ford im Jahr 1913 entwickelte. Das wahre Potenzial dieser Technologien zeigt sich erst, wenn die Unternehmen dieses Wertschöpfungsmodell komplett überdenken.


Investitionen in Robotics je Industrie

Industrielle Robotisierung mit Cobots

Die Zeit, in der Industrieroboter als fix installierte Automaten gesehen werden, die unermüdlich repetitive Vorgänge ausführen, ist passé. Cobots (vgl. Infobox «Vom Roboter zum Cobot») erledigen Arbeiten, die für Industriearbeiter ohne Sicherheitsrisiko schlicht nicht möglich wären, und führen Aufgaben mit grosser Geschicklichkeit aus, zum Beispiel das Löten von Mikrochips.

Orwellsche Orakel von menschenleeren Fabriken ohne Licht («Lights-out»-Betriebe), wo sich Roboter 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche abrackern, haben sich bisher nicht durchgesetzt. Denn Automatisierungstechnologien vollständig in Produktionsprozesse zu integrieren und gleichzeitig den Bedürfnissen der Belegschaft gerecht zu werden, ist leichter gesagt als getan. Trotzdem schreitet die Automatisierung voran. Bereits heute arbeiten menschliche Arbeitskräfte in einigen Gebieten mit Cobots Hand in Hand. In naher Zukunft wird das die Norm sein.

Vom Roboter zum Cobot

Vor ein paar Jahren lag der Schwerpunkt der Automatisierung mit Robotern auf «Lights-out»-Fabriken mit enormen Volumen und einer hohen Durchsatzleistung, die ausschliesslich von Robotern übernommen wird. Heute zeigt sich in der technischen Produktion ein Paradigmenwechsel – und die Cobots kommen ins Spiel. Diese berücksichtigen die Kernbereiche der industriellen Wertschöpfung, also den Wert und die Sicherheit der Menschen, die handwerklichen Fähigkeiten und das Verständnis der Kunden, die Materialien und die Prozesse.

Cobots sind kollaborative Roboter, die Hand in Hand mit dem Menschen arbeiten. Sie eignen sich vor allem für kleineren Serien. Ihre Arbeitsgeschwindigkeit ist zwar gegenüber konventionellen Robotern aus sicherheitstechnischen Gründen begrenzt, dies spielt aber keine Rolle, da sie sich dem Arbeitstempo des Menschen anpassen und in einem Produktionsumfeld sinnvoll eingesetzt werden, wo es den Menschen braucht, zum Beispiel für optische Kontrollen oder feinmotorische Tätigkeiten. Typische Einsatzfelder finden sich in der Konfektionierung, beim Co-Packaging, in der Montage oder in der Uhrenindustrie und der Medizinaltechnik.

Cobots können weit mehr als vorprogrammierte Aufgaben übernehmen. Sie lassen sich durch die Wiederholung von Aktivitäten «trainieren», ohne dass dabei viel Zeit fürs Programmieren anfällt. Cobots der neusten Generation sind lernfähig, sehr flexibel, lassen sich von einer Arbeitsstation trennen und an einer anderen nutzen. Ihre Programmierung ist benutzerfreundlich und die Umprogrammierung rasch und einfach vorgenommen.

Mehr als ein Kostenvorteil

Der Mehrwert der Robotiktechnologie geht weit über eine blosse Reduktion der Arbeitskosten hinaus. Die Robotik ist Teil einer Welle neuer Technologien wie der 3-D-Druck oder das Industrial Internet of Things (IIoT). Diese bergen neuartige Möglichkeiten für die Herstellung, Echtzeitüberwachung der Maschinenleistung und präventive Wartung. Kombiniert mit anderen Technologien führt die Robotik zu einem neuen Wertgefüge, das die Produktion von qualitativ hochwertigeren Produkten mit innovativeren Designs, kürzeren Beschaffungszyklen, mehr Flexibilität («Just-in-time»-Montage) und massgeschneiderten Lösungen («Lot-of-1»-Produktion) umfasst.

Smart Factory – die moderne Art der Fertigung

Intelligente Fabriken – auch Smart Factorys genannt – vernetzen und optimieren Maschinen, Material, Arbeiter und Arbeitsabläufe, um die Produktivität zu steigern und Fehler zu eliminieren. Im Mittelpunkt steht die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. So setzen erfolgreiche Unternehmen Cobots ein, um schnelleres Arbeiten der Arbeitskräfte und schlankere Prozesse zu erreichen. Vor diesem Hintergrund gewinnen Kundenzentrierung und regionale Herstellung («Local for Local») an Bedeutung. Das Arbeitsumfeld in einer Smart Factory wird sich radikal verändern. Es müssen nämlich nicht nur neue Technologien implementiert, sondern auch Arbeitskräfte mit digitalen Fähigkeiten gesucht, eingestellt sowie aus- und weitergebildet werden.

Ein Blick auf den Werkplatz Schweiz

Die Schweiz blickt auf eine lange Tradition der Industrialisierung zurück, man denke nur an die Textilindustrie. Sie hat erste Schritte der Automatisierung lange vor anderen Ländern vollzogen – und schon damals gab es Bedenken, dass Arbeitsplätze verloren gehen könnten.

Heute steht der Werkplatz Schweiz in der Industrierobotik gleichauf mit anderen europäischen Ländern. Neue Automatisierungstechnologien werden gerade erst implementiert, befinden sich aber noch in den Kinderschuhen. Interessanterweise kommt das Konzept der Cobots der Schweizer Unternehmenskultur entgegen.

Warum sich der Cobot lohnt

Cobots sind berührungsempfindlich und darum keine Gefahr für den Menschen, wenn sie ohne Gitterschutz mit diesen zusammenarbeiten. Im Gegenteil, ein Cobot geht seinem Arbeitskollegen assistierend zur Hand oder nimmt ihm schwere Arbeiten, zum Beispiel das Heben von Gewichten, ab. Das macht die menschliche Arbeitskraft flexibler und frei, an einer anderen Stelle der Wertschöpfung seinen Beitrag zu leisten. Werden Cobots mit künstlicher Intelligenz bestückt, sodass sie aus Erfahrungen lernen und sich weiterentwickeln können, ermöglichen sie den menschlichen Arbeitskräften höher qualifizierte Arbeiten und damit mehr Flexibilität und einen weiteren Produktivitätsgewinn.

Im Weiteren sind Cobots heute erschwinglich. Auch kleine und mittelständische Unternehmen können sich gewisse Automatisierungstechnologien leisten und einfach in bestehende Produktionsprozesse integrieren. Die Robotik ist Teil von vielschichtig digital vernetzten Tätigkeiten, die mithilfe des IIoT möglich werden. Nehmen wir ein Beispiel: Der Automobilhersteller GM hat mindestens einen Viertel – sprich 30’000 – seiner Roboter mit dem Internet verbunden. Er erhebt damit Leistungsdaten und Informationen, die sich für die präventive Wartung nutzen lassen. Dadurch kann er die Anzahl Ausfälle und Störungen in den Montagelinien drastisch reduzieren.

«GM Hooking 30,000 Robots to Internet to Keep Factories Humming», April 2017, Bloomberg News

Die Hersteller schaffen also nicht nur durch mehr Effizienz einen Mehrwert, sondern auch durch Daten zu Material, Komponenten, Arbeit oder Arbeitsabläufen. Aggregieren sie diese Daten mit kundenbezogenen, finanziellen oder umweltspezifischen Daten, eröffnen sie neue Entscheidungsgrundlagen und Handlungsfelder.

Schnelligkeit und individuelle Anpassung

Die Robotik führt zusammen mit dem 3-D-Druck in eine neue Ära der Produktpersonalisierung. Die Fähigkeit zur «Losgrösse 1» erfordert von den Herstellern schnellere Rüstzeiten, um einen Auftrag individuell anzupassen und den Lebenszyklus eines Produktes weiter zu reduzieren. Das bedingt gleichzeitig, dass die Hersteller höhere Produktionsgeschwindigkeiten erreichen und flexibler werden. Es erstaunt daher nicht, dass sie der Einführung einer flexiblen Robotisierung für den Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit immer mehr Bedeutung einräumen.

Von Risiken und Nebenwirkungen

Die Einführung der Robotisierung birgt neue Risiken und bringt neue Haftungsaspekte mit sich. Beispielsweise muss sich bei einem Unfall mit Robotiksystemen – etwa aufgrund defekter Hardware, Software, mangelhafter Kommunikation oder missbräuchlicher Verwendung – feststellen lassen, welche Partei verantwortlich und haftbar ist.

Ein weiterer Aspekt ist der Datenschutz – die EU-DSGVO lässt grüssen. Unternehmen, die mit Robotiksystemen personenbezogene Daten erfassen oder damit arbeiten (beispielsweise via Kameras, Mikrofone und Sensoren), müssen deren Schutz gewähren und ihre Datenschutz-Compliance sicherstellen. Ein ebenso grosses Augenmerk gilt all jenen Arbeitsgesetzen, die anwendbar sind, wenn Arbeiter durch Roboter ersetzt werden.

Den Menschen braucht es weiterhin

Die gute Nachricht: Roboter können nicht alles. Darum konnten sich «Light-out»-Fabriken nicht durchsetzen. Beim roboterzentrierten Ansatz wird die Interaktion von Mensch und Maschine dahingehend limitiert, dass die Roboter zum Schutz der Arbeitskraft hinter Gittern oder Barrieren arbeiten. Mit den vielfältigen Möglichkeiten von Cobots lässt sich diese Zusammenarbeit harmonisieren. Mehr noch: Der Einsatz von Cobots fördert die Innovationskraft und Kreativität der Mitarbeiter in der Produktion, und zwar von unten nach oben. Arbeitskräfte, die in einem Bereich Experten sind, gewinnen Zeit für neue Ideen, die den Herstellungsprozess optimieren. Die repetitiven, eintönigen und schweren Aufgaben übernehmen derweil die Cobots – und werden dabei nicht unzufrieden.

Arbeitsablauf zwischen Menschen und Robotern im Rahmen verschiedener Automatisierungsstrategien

Für Erstanwender gut zu wissen

Jede neue Fertigungstechnologie erfordert eine fundierte und skalierbare Strategie. Die Automatisierung mit Robotern oder Cobots bedeutet eine erhebliche Investition. Erstanwender und alle, die ihre Automatisierungsstrategie erweitern möchten, sind darum gut beraten, die folgenden Überlegungen anzustellen, bevor sie Zeit und Kapital in ihre Robotisierung stecken:

1. Einen Business Case «ohne Überraschungen» erstellen

Die folgenden Fragen können dabei helfen, die Kapitalrentabilität realistisch einzuschätzen:

  • Welches sind die realistischen Kosten, die beim Erwerb eines bestimmten Roboters entstehen (Konfiguration, Betrieb, Wartung, Reparatur, neue Software, Schulung von Mitarbeitenden), und wie realistisch ist die Machbarkeit?
  • Ist der Roboter zukunftssicher (d.h., kann er mithilfe von Software/Hardware leicht aktualisiert werden), oder ist er anfällig, wenn eine neue bahnbrechende Technologie aufkommt?
  • Über welchen Zeitraum amortisiert sich der Roboter?
  • Welches sind die wirklichen Bedürfnisse in der Produktion, und welchen Mehrwert bringt ein Roboter?
  • Gibt es Alternativen zu Robotern oder zur Automatisierung, die ebenfalls Mehrwert schaffen?
2. Sein Know-how im Automatisierungsbereich kennen

Die Robotik hat viele Vorteile: rasche Kapitalrentabilität, Plug-and-Play-Fähigkeit, einfache Einarbeitung, um nur einige Beispiele zu nennen. Unabhängig davon, wie einfach eine neue Technologie beschrieben wird, müssen sich Erstanwender jedoch fragen: Wie bereit sind wir, die Technologie in unsere Prozesse zu integrieren? In welchem Umfang verfügt unsere Prozesslandschaft bereits über automatisierte Systeme?

Zu den Kompetenzbereichen und nachgewiesenen Sachkenntnissen in Bezug auf die Verwaltung von automatisierten Systemen und der Robotik im Speziellen gehören:

  • Konfiguration und Programmierung von Produktionsaufträgen, insbesondere in Bezug auf Aufgaben, die rasch und/oder nur sporadisch durchgeführt werden.
  • Analyse von Daten, die von Maschinen erhoben wurden, um Erkenntnisse für die präventive Wartung zu erhalten.
  • Organisation und Planung der Robotikintegration in die Arbeitsprozesse (Vermeidung von Engpässen)
  • Überwachung, Wartung und Reparatur der automatisierten Anlagen
3. Die richtige Robotiktechnologie für die richtigen Aufgaben wählen

Die Robotertypen und das Spektrum ihrer Fähigkeiten werden laufend erweitert. Immer mehr Hersteller entwickeln Roboterfunktionalitäten, die weit über das Heben schwerer Lasten oder das Schweissen von Karosserien hinausgehen. Roboter werden vermehrt als Cobots für komplexe, anspruchsvolle Tätigkeiten eingesetzt. Gleichzeitig verbessern sich die sensorischen Fähigkeiten und die künstliche Intelligenz von Robotern, etwa durch Kameras, Sichterkennung, Bewegungsmelder und thermische Sensoren sowie Software für grössere Flexibilität, Lernfähigkeit, Geschicklichkeit, Genauigkeit und Autonomie.

Die wachsende Liste an Aufgaben, die Robotern übertragen werden, ist lang und vielfältig. Darum gilt es zu identifizieren, was automatisiert werden kann – und warum. Dazu empfiehlt sich eine Bestandsaufnahme der Prozesse, die repetitiv, schwierig oder für den Menschen schädlich sind. Auch menschliche Fertigkeiten, die knapp werden, sind primäre Automatisierungsfelder. In diesem Zusammenhang sollte sich das Unternehmen ebenfalls überlegen, welche manuellen Arbeiten für eine neue Generation von Arbeitnehmern als unattraktiv gelten könnten.

4.0 Mal gefordert

Die Technologien zu kollaborativen Arbeitsplätzen mit Cobots sind vorhanden und sollten sinnvoll genutzt werden, denn wer sich hinter Argumenten wie Arbeitsplatzsicherung vor der Herausforderung drückt, gefährdet diese am Ende selber. Die Industrieproduktion hat sich noch nie davor gescheut, Automatisierungstechnologien einzusetzen – von Henry Fords Montagelinien für die Serienproduktion bis zur Nutzung von Industrierobotern vor über vier Jahrzehnten. Auch in der Gegenwart gehören die Hersteller von Industrieprodukten zu den Pionieren von fortschrittlichen Fertigungstechnologien. Darum: Nutzen wir sie zum Vorteil des Produktionsstandortes Schweiz!

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Simon Treis

Simon Treis

Director, Member of the Executive Board, Strategy& Switzerland

Tel.: +41 58 792 3158

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