Interview mit Ladina Heimgartner

Der Effizienzgewinn durch KI ist enorm

KI wird den Journalismus grundlegend verändern, sagt Ladina Heimgartner. Die CEO von Ringier Medien Schweiz über Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz und wie man gegen gezielte Falschinformation vorgehen könnte.

Ladina Heimgartner, CEO of Ringier Media Switzerland

Journalistin: Andrea Schmits | Fotograf: Markus Bertschi


Um künstliche Intelligenz kommt man heute nicht mehr herum. Empfinden Sie das als positive Entwicklung oder eher als Übel?
Eine Welt ohne generative künstliche Intelligenz wäre für die Medienbranche wohl unter dem Strich tatsächlich einfacher. Aber diese Technologie ist jetzt da und verschwindet auch nicht mehr. Nun geht es darum zu erkennen, wie wir davon profitieren. Ringier ist bereits früh auf den KI-Zug versehen mit entsprechenden KI-Regeln und einem KI-Manifesto aufgesprungen. Damit sind wir in einer guten Position, um die Chancen zu nutzen und die Risiken zu senken. Denn KI ist ein zweischneidiges Schwert.

«KI ist ein zweischneidiges Schwert.»

Wie hat KI das Mediengeschäft verändert?
KI war und ist ein Gamechanger – aber schleichend. Im Blick-Newsroom nutzen wir KI beispielsweise schon lange für die Personalisierung der Website. Auch EqualVoice, unsere Initiative zur Steigerung der Sichtbarkeit von Frauen in den Medien, basiert auf KI: Ein semantischer Algorithmus zählt, wie oft Frauen und Männer in den Medien dargestellt werden und analysiert den Kontext – beispielsweise, ob Stereotypen bedient werden.

Sie haben über Personalisierung gesprochen. Besteht da nicht die Gefahr, dass Nutzer:innen nur noch Inhalte sehen, die bereits ihren bisherigen Ansichten und Vorlieben entsprechen?
KI erkennt, welche Inhalte die Leserschaft interessieren und gewichtet sie entsprechend. Das verstärkt vor allem in sozialen Medien die Bubblebildung und zementiert so gesellschaftliche Fraktionen. Bei uns ist das anders: die wichtigsten Themen werden immer von einem Menschen kuratiert. Das entspricht unserem publizistischen Anspruch und unserer gesellschaftlichen Verantwortung als Medienhaus. Medien sollten zu mehr Kollektivwissen beitragen und Brücken zwischen gesellschaftlichen Gruppierungen schlagen – und nicht ausschliesslich die individuelle Relevanz als Massstab nehmen.

«KI ist ein Gamechanger.»

Ladina Heimgartner, CEO of Ringier Media Switzerland

Zur Person

Ladina Heimgartner ist CEO von Ringier Medien Schweiz. Sie verantwortet zudem als Head Media das Ringier Mediengeschäft auf Gruppenstufe und ist Mitglied des Group Executive Boards der Ringier AG. Zuvor war sie lange bei der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR. Seit 2024 ist die Bündnerin auch Präsidentin des weltweiten Zeitungs- und Medienunternehmensverbands WAN-IFRA.

Das Unternehmen    

Die Ringier AG ist ein Schweizer Medienunternehmen mit Hauptsitz in Zofingen, das in 20 Ländern in Europa und Afrika tätig ist. In Zürich befinden sich das Pressehaus im Seefeld  sowie der Medienpark in Altstetten. Die Einheit Ringier Medien Schweiz wurde 2023 gegründet, nachdem Ringier alle Anteile an dem bisherigen Joint Venture Ringier Axel Springer Schweiz übernommen hatte. Zum Portfolio von Ringier Medien Schweiz gehören der Blick sowie die reichweitenstarken Magazin- und Zeitschriftentitel wie Beobachter, Handelszeitung, Bilanz, cash.ch, Tele, Schweizer Illustrierte, Landliebe, L’illustré, PME und Glückspost.

Seit Mitte 2024 liest KI einem die Texte auch vor.
Genau. Man kann sich alle Texte auf der Seite Blick.ch von der synthetischen Stimme unserer Chief Content Officer Steffi Buchli vorlesen lassen. Diese Vorlesefunktion erhöht die Zugänglichkeit und verbindet KI mit einem menschlichen Touch. Um die KI zu trainieren, verbrachte Steffi Buchli einen Tag im Studio und las ein genau definiertes Skript ein. Damit ist die Stimme für die meisten Namen, fremdsprachigen Begriffe und Abkürzungen gerüstet.

Wie nutzt Ringier Schweiz KI sonst noch?
KI ist allgegenwärtig. Unsere Journalist:innen nutzen KI-Tools zur Recherche, beim Zusammenfassen von Texten, der Unterstützung bei der Titelsetzung oder dem Transkribieren von Audiodateien. Fast alle Texte kommen in irgendeiner Form mit KI in Kontakt. Auch Illustrationen und Bilder werden häufig mit KI generiert. Der Effizienzgewinn ist enorm.

«Wenn es um Emotionen geht, werden Menschen im Journalismus immer eine Rolle spielen.»

Sind Journalist:innen bald überflüssig?
Das Berufsbild verändert sich durch KI nachhaltig. So kann die Maschine beispielsweise Agenturtexte oder Studien zusammenfassen. Aber: Bestimmte journalistische Tätigkeiten werden immer in Menschenhand bleiben. Nehmen wir zum Beispiel die schweren Unwetter im Tessin letzten Sommer. Da sind Menschen hingegangen und haben von vor Ort berichtet. Wenn es um Emotionen geht, werden Menschen im Journalismus immer eine Rolle spielen. Ihre Beseeltheit kann nichts und niemand angreifen. Das ist der wahre Wert. Und diesen Kern müssen wir in den nächsten Jahren herausschälen und schärfen.

Wie merken Leser:innen, dass ein Text KI-generiert ist?
Wird ein Text grösstenteils durch KI generiert, weisen wir das in der Autorenzeile aus. Wir haben dazu den legendären Blick-Käfer wieder ins Leben gerufen und in «BliKI – der intelligente Helfer» umgetauft. Wird KI nur als Hilfsmittel eingesetzt, zum Beispiel bei Übersetzungen oder Zusammenfassungen, ist eine Kennzeichnung nicht erforderlich. Ganz wichtig ist: Wo Inhalte neu generiert werden, werden sie vor Publikation von einem Menschen kontrolliert. Der Mensch überwacht die Maschine.

Ringier hat mit Google Cloud eine Vereinbarung zur Entwicklung eines Chatbots für das digitale Angebot seiner Schweizer Medienmarke Blick getroffen. Was zeichnet diesen Chatbot aus?
Ja, das ist eine echte Herausforderung! Der Chatbot geht direkt auf die User zu und schlägt ihnen Inhalte vor, die sie interessieren könnten – zu einem späteren Zeitpunkt auch solche von anderen Premium-Medien aus unserem Haus oder von Drittmedien. Das hilft ihnen, sich in der Informationsflut zurechtzufinden. Gleichzeitig erhöht es den Wert der Nachrichten für den Einzelnen. Dieses Angebot auf ein zuverlässig hohes Niveau zu bringen, ist sehr komplex. Denn KI kann auch mal halluzinieren – wir stehen mit der generativen KI ja erst am Anfang dieser Ära. Dennoch: Halluzinationen sind für ein Medienhaus fatal. Wir haben sehr strenge Qualitätsrichtlinien entwickelt: Wir kontrollieren die Antworten mit einem eigens dafür integrierten LLM. Wo die Antwort nicht den Kriterien entspricht, wird sie nochmals generiert.

«Man muss KI so trainieren, dass keine Wildwest-Romane entstehen.»

Was meinen Sie damit?
Es kommt vor, dass KI falsche Informationen ausspuckt, beziehungsweise Fakten auf eine Weise miteinander in Relation setzt, dass sie nicht mehr der Wahrheit entsprechen. So etwas können wir uns als Medienunternehmen nicht leisten. Durch menschliche Kontrolle oder für die Qualitätssicherung verantwrtliches LLM versuchen wir, Halluzinationen möglich einzudämmen.

Solche Falschinformationen werden aber oft geglaubt oder führen dazu, dass Menschen den Medien nicht mehr vertrauen.
Das ist ein grosses Problem. User:innen werden im Internet mit Content überflutet, der zum Teil komplett KI-generiert ist. Vielen Usern fehlt die Kompetenz zu beurteilen, welchen Plattformen sie trauen können und welchen nicht – das ist auch sehr schwierig, da viele Inhalte äusserst professionell aussehen. Eine Riesengefahr sind die sogenannten «Pink-Slime»-Seiten: Diese sehen zwar oft aus wie seriöse Nachrichtenportale, dienen aber dazu, mittels KI-generierter Inhalte gezielt Falschinformationen zu verbreiten und ganze Gesellschaftsschichten zu manipulieren. Das ist Gift für unsere Branche.

Gibt es eine Lösung dafür?
Um diese Seiten im Zaum zu halten, ist schnelles regulatorisches Eingreifen nötig. Doch dafür ist der demokratische Prozess zu langsam. Die Politik hinkt oft Jahre hinterher. Eine Idee wäre, sich weltweit auf Qualitätskriterien zu einigen und an seriöse Medienunternehmen, die sich zu bestimmten publizistischen Prozesskriterien verpflichten, eine Art Label zu vergeben. Das ist nicht einfach. Doch der Weltverlegerverband WAN-IFRA, dem ich vorsitze, wäre für so ein Projekt prädestiniert.