Transparenz im Konzernabschluss soll die Qualität von Investorenentscheidungen verbessern, vor bilanzpolitischen Massnahmen der Unternehmen schützen und ganz allgemein die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte erhöhen. Entsprechend sind Umfang und Detaillierungsgrad der von den börsennotierten Gesellschaften offenzulegenden Informationen in der Vergangenheit erheblich gestiegen. Die neuen Prüfungsstandards führen zu einem erweiterten Bestätigungsvermerk mit Key Audit Matters und explizit umschriebenen Verantwortlichkeiten. Dieser Bestätigungsvermerk ist erheblich unternehmensindividueller und transparenter. Insgesamt schafft die erhöhte Transparenz die Grundlage für mehr Vertrauen in die Abschlussprüfung, verbesserte Prüfungsqualität und letztlich erhöhten Schutz der Rechnungslegungsadressaten.
Sunlight is said to be the best of disinfectants.» [1] Dass Licht, also Transparenz, der beste Schutz für Kapitalmarktteilnehmer sei, ist seit nunmehr über 100 Jahren eine der Leitlinien der Regulatoren. Transparenz soll die Qualität von Investorenentscheidungen verbessern, vor bilanzpolitischen Massnahmen der Unternehmen schützen und ganz allgemein die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte erhöhen. Entsprechend sind Umfang und Detaillierungsgrad der pflichtgemäss von den börsennotierten Gesellschaften offenzulegenden Informationen in der Vergangenheit erheblich gestiegen. Hatten Konzernabschlüsse noch bis in die 90-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts oftmals einen überschaubaren Umfang, so umfassen heutige durchschnittliche Geschäftsberichte nicht selten um die 200 Seiten, in hoch regulierten Branchen wie etwa im Banken- und Versicherungsbereich noch deutlich mehr. Vergütungsberichterstattung, Risikoberichterstattung, Segmentberichterstattung, Informationen über Unternehmenszusammenschlüsse, Wertberichtigungen, Finanzinstrumente, Pensionsverpflichtungen, nahestehende Personen: Es gibt kaum einen Bereich zur wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens, über den dieses nicht zur Rechenschaftslegung verpflichtet würde. Demnächst kommt durch die Europäische Union verordnet noch eine «Nichtfinanzielle Erklärung zur Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerlage sowie die Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption in den Lagebericht» [2] hinzu.
[1] Vgl. Brandeis: Other People’s Money, and How the Bankers Use it, New York 1914, S. 92.
[2] Vgl. EU-Richtlinie 2014/95/EU vom 22.10.2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte grosse Unternehmen und Gruppen, ABl EU L 330/1 vom 15.11.2014.
Umso mehr mag man sich fragen, wie diese schiere Fülle von Informationen innerhalb angemessener Zeit von einem Abschlussprüfer geprüft und ein fundiertes Prüfungsurteil über die Ordnungsmässigkeit des Jahres- oder Konzernabschlusses erstellt werden kann. Für die überwiegende Mehrzahl der an der Berichterstattung der Unternehmen Interessierten ist das Zustandekommen des Prüfungsurteils des Abschlussprüfers praktisch eine «Blackbox»; der Prüfungsbericht interessiert letztlich nur, falls er eingeschränkt oder in wenigen Ausnahmefällen sogar versagt wird. Ansonsten geht man schlicht davon aus, die dargestellte wirtschaftliche Lage entspreche – quasi formal bestätigt durch den Abschlussprüfer – den tatsächlichen Verhältnissen. Die Unkenntnis über den konkreten Prozess, über Umfang und Gegenstand der Abschlussprüfung hat zu der in Theorie und Praxis viel diskutierten Erwartungslücke wesentlich beigetragen, also dem Auseinanderklaffen der Erwartungen einer interessierten Öffentlichkeit an die Abschlussprüfung einerseits und den tatsächlich zu erbringenden Prüfungsleistungen aus Sicht des Abschlussprüfers andererseits. [3] So mancher (naive) Investor wundert sich noch immer über ein uneingeschränktes Prüfungsurteil trotz Briefkastenfirmen des Konzerns, falscher Abgastests, grosser Fehlinvestitionen oder tiefroter Ergebnisse.
[3] Vgl. Biener, Die Erwartungslücke – eine endlose Geschichte, sowie Niehus, Zum Bestätigungsvermerk von internationalen Jahresabschlüssen – Neue Risiken für die «Erwartungslücke», beide in: Internationale Wirtschaftsprüfung, Festschrift für Hans Havermann, hrsg. von Josef Lanfermann, Düsseldorf 1995, S. 37-63; Böcking, Kann das «Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)» einen Beitrag zur Verringerung der Erwartungslücke leisten? – Eine Würdigung auf Basis von Rechnungslegung und Kapitalmarkt, WPg S. 351-364; Clemm, Abschlussprüfer als Krisenwarner – Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen einer Ausfüllung der sogenannten «Erwartungslücke», insbes. durch eine intensivere Prüfung der wirtschaftlichen Lage und des Lageberichts, WPK-Mitteilungen, 34. Jg. (1995), S. 65-78; Forster, Zur «Erwartungslücke» bei der Abschlussprüfung, WPg S. 789-795.
Neue und überarbeitete Standards
Neue Vorgaben für den Berufsstand sollen Licht in die Blackbox der Abschlussprüfung bringen, den Informationsnutzen des Prüfungsberichts erhöhen und die Erwartungslücke schliessen. Insgesamt hat der International Auditing and Accounting Standards Board (IAASB) hierzu ein Paket von fünf neuen beziehungsweise überarbeiteten Prüfungsstandards herausgegeben:
- ISA 700 (revised): Forming an Opinion and Reporting on Financial Statements
- ISA 701: Communicating Key Audit Matters in the Independent Auditor’s Report’s
- ISA 705 (revised): Modifications to the Opinion in the Independent Auditor’s Report
- ISA 706 (revised): Emphasis of Matter Paragraphs and Other Matter Paragraphs in the Independent Auditor’s Report
- ISA 720 (revised): The Auditor’s Responsibilities Relating to Other Information
Für die Adressaten testierter Abschlüsse sind insbesondere ISA 700 (revised) sowie der neue ISA 701 von grösstem Interesse. Sie sind – zusammen mit weiteren Änderungen – in der EU für die Berichtsperioden ab dem 16.06.2016 für die Prüfung von börsennotierten Unternehmen – beziehungsweise in der Terminologie der Europäischen Union: Unternehmen von öffentlichem Interesse – verbindlich. [4] Für schweizerische börsennotierte Gesellschaften wird ISA 701 ab dem 21.12.2016 verpflichtend, und nach der Überführung in die Schweizer Prüfungsstandards sind voraussichtlich ab 2018 grundsätzlich alle ordentlichen Abschlussprüfungen nach den neuen Vorgaben zu erstellen.
Im Kern geht es dabei inhaltlich um drei Aspekte:
Erstens führen die neuen Vorgaben zu einer Abkehr vom altbekannten standardisierten Formeltestat. Stattdessen werden umfangreiche unternehmensindividuelle Angaben zur Abschlussprüfung im Prüfungsbericht verlangt. Nicht nur über das Prüfungsurteil an sich ist also zu informieren, sondern über die unternehmensindividuellen Grundlagen, die zu dem Prüfungsurteil des Abschlussprüfers geführt haben.
Zweitens – und damit eng zusammenhängend – muss der Abschlussprüfer über besonders wichtige Prüfungssachverhalte berichten. Es sind dies die sogenannten Key Audit Matters (KAM). Da die Abschlussprüfung darauf ausgerichtet ist, ein Prüfungsurteil über den Abschluss als Ganzes mit hinreichender Sicherheit abzugeben, ist im Rahmen eines risikoorientierten Prüfungsansatzes eine Erfassung aller wesentlichen Sachverhalte durch die Prüfung sicherzustellen. Die neuen Vorgaben ändern insofern zwar nicht das grundsätzliche methodische Vorgehen im Rahmen der Abschlussprüfung. Aber sie führen zu einer erstmaligen Veröffentlichung bisher prüfungsinterner Angaben. In Zukunft wird man also ausführliche Informationen über zwei bis fünf KAM für das Prüfungsurteil besonders zentrale Sachverhalte aus Sicht des Abschlussprüfers erwarten dürfen. Dabei ist zunächst auf die Identifizierung der wesentlichen Sachverhalte einzugehen, etwa qualitative und quantitative Wesentlichkeitsgrenzen, sowie auf den Zusammenhang mit der Abschlussprüfung, zum Beispiel aufgrund der Komplexität des Sachverhalts, seiner überragenden Bedeutung für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage oder der bilanzpolitischen Ermessensspielräume des Managements. Anschliessend ist das entsprechende spezifische prüferische Vorgehen zu erläutern und abschliessend noch ein Verweis auf weitergehende Informationen im Abschluss des Unternehmens anzubringen. In der Praxis wird es diesbezüglich in Einzelfällen zu Auseinandersetzungen zwischen Abschlussprüfer und Abschlussersteller kommen; denn die Wesentlichkeitsaspekte einer risikoorientierten Prüfung müssen nicht identisch sein mit den Wesentlichkeitsaspekten bei der Erstellung des Abschlusses. So weisen etwa bereits zahlreiche IFRS-Vorschriften (z.B. IAS 1.122 und .125, IAS 36.134(f), IFRS 13.92(d) und (h)) auf die Offenlegung von wesentlichen Schätzungsunsicherheiten und Ermessensspielräumen hin.
Drittens sehen die neuen Vorschriften eine explizite Beschreibung der jeweiligen Verantwortlichkeiten des Abschlussprüfers einerseits und der gesetzlichen Vertreter des Unternehmens in Bezug auf die Rechnungslegung andererseits vor. Damit soll dem verbreiteten Missverständnis in der Öffentlichkeit entgegengewirkt werden, der Abschlussprüfer solle oder könne selbst an der Erstellung des Abschlusses mitwirken und eigenständig erkannte Schwachstellen beseitigen. [5]
[4] Vgl. auch Art. 10 Abs. 2c(i) der EU-Verordnung Nr. 537/2014 vom 16.04.2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission, ABl EU L 158/77 vom 27.05.2015, wonach der Bestätigungsvermerk zur Untermauerung des Prüfungsurteils «eine Beschreibung der bedeutsamsten beurteilten Risiken wesentlicher falscher Darstellungen einschliesslich der beurteilten Risiken wesentlicher falscher Darstellungen aufgrund von Betrug» enthalten muss.
[5] gl. zum Überblick über die Neuregelungen z.B. Dolensky, Der neue Bestätigungsvermerk nach ISA 700 (revised) und ISA 701, IRZ (2016) S. 137-142; Burgener, Neuer Revisionsbericht: mehr Vertrauen, mehr Transparenz, Disclose, Heft 1 (2016) S. 61-67.