Im Fokus: Mut als unternehmerische Kompetenz

«Wir müssen loslassen, um uns neu zu erfinden.»

Beat Rütsche
Assurance Partner und Leiter Redaktionsteam Disclose, PwC Schweiz

Peter Kasahara
Group Chief Data Officer, Zurich Insurance Group

Das digitale Zeitalter hat die unternehmerische Verantwortung fundamental verändert. Führungskräfte müssen heute nicht nur auf der Grundlage dessen entscheiden, was sie wissen, sondern auch aufgrund dessen, was sie wissen könnten. Dazu verfügen sie über so viele Fakten wie noch nie. Wer in diesem Kontext richtig entscheiden will, braucht das Vertrauen seiner Gegenüber – und Mut. 

Disclose hat mit Peter Kasahara, Group Chief Data Officer der Zurich Insurance Group, über Stabilität und Klarheit in einer schnelllebigen Welt, smarten Risikoappetit, die Bedeutung eines übergeordneten Zwecks und eine gesunde Fehlerkultur gesprochen. Und über die hohe Kunst des Loslassens.

Hören Sie das gesamte Gespräch im Podcast oder lesen Sie das Interview in einer leicht gekürzten Fassung.

 

 

Peter, was bedeutet unternehmerischer Mut für dich?

Der Begriff enthält wörtlich zwei Komponenten: Unternehmertum und Mut. Mut zielt darauf ab, eine positive Veränderung herbeizuführen. Hier stellt sich die Frage nach der Bereitschaft für den Grad der Veränderung und nach dem Grund dafür. Unternehmerisch heisst, nicht reaktiv, sondern proaktiv in die Verantwortung zu treten. Mut, gepaart mit der Aufgabe, die jeder im Unternehmen hat, bedeutet demnach, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Dabei muss es gelingen, einen übergeordneten Zweck zu verfolgen, der allen Anspruchsgruppen einen Mehrwert bietet: der Community, den Menschen, unserem Planeten und natürlich unseren Kunden und Mitarbeitenden. 

Kannst du ein konkretes Beispiel nennen?

Die Zurich Insurance Group bekennt sich klar zur Nachhaltigkeit. Für uns umfasst diese die Umwelt, den Umgang mit den Menschen und Daten. Wir haben uns dazu verpflichtet, Daten sicher zu halten und zum Nutzen unserer Kunden einzusetzen. 

Warum ist Mut wichtig für die Welt und für die Arbeitswelt?

Mut ist meiner Meinung nach ein Gradmesser dafür, wie sehr wir eine positive Bewegung bewirken wollen und können. Er definiert, wie stark wir vom Status quo abweichen, um eine Verbesserung umzusetzen. Unternehmerischer Mut hilft uns, Begeisterung zu entfachen, andere zu inspirieren und mitzureissen. Das verschafft uns einen Gestaltungsraum, in dem wir eine Bewegung in die richtige Richtung lenken können. Richtig ist sie dann, wenn wir einen übergeordneten Zweck verfolgen. Auch dazu ist Mut nötig. 

Wie sieht Mut im digitalen Zeitalter aus?

Das digitale Zeitalter hat vieles verändert. Heute herrscht eine neuartige Schnelllebigkeit und wir verfügen über sehr viel mehr Daten – also Fakten – als früher. Entscheidungen erfordern Mut. Diese transparent zu machen, erfordert noch mehr Mut. Und am meisten Mut braucht es, zu Fehlern zu stehen. Eine gesunde Fehlerkultur gehört für mich zu den Schlüsselkomponenten von Mut. Heute entscheiden Führungskräfte nicht nur auf der Basis dessen, was sie wissen, sondern aufgrund dessen, was sie wissen könnten. Sie müssen demnach sicherstellen, dass sie mit den richtigen Entscheidungsgrundlagen ausgestattet werden, und dass die gelieferten Daten und Informationen stimmen.

Fast World, Slow Culture – siehst du das auch so?

Ja und nein. Fast World, da gebe ich dir natürlich recht. Gleichzeitig erkennen wir ein Revival der Langsamkeit, um uns zu besinnen und wieder auf den Punkt zu kommen. Slow Culture, auch das stimmt. Die grösste Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, Grundannahmen, Werte und Normen, die wir als Menschen und Mitarbeitende haben, zu verändern. Die Firmenkultur lässt sich oft nur schleppend umformen. Andererseits ist sie der stärkste Möglichmacher. 

Geschwindigkeit um der Geschwindigkeit willen hilft nicht. Wir brauchen Mut, um in gewissen Bereichen stabil zu bleiben. Das heisst nicht, dass wir hier stehen bleiben. Stabilität schafft Klarheit. Meiner Meinung nach müssen sich die Unternehmen dort eine Fast Culture anstreben, wo sie tatsächlich eine solche brauchen. 

Wie beschreibst du das Verhältnis Mut zu Risiko? 

Ich würde es als Smart Risk Appetite bezeichnen. Man verfolgt einen bewussteren Ansatz, wenn man aufgrund der digitalen Möglichkeiten und verfügbaren Daten entscheidet. Als Grundlage dienen nicht nur das Bauchgefühl, sondern harte Fakten. Hingegen bekommt man keine positive Veränderung hin, wenn man keine Risiken eingeht. Bewegung zur Veränderung und Verharren in der Komfortzone sind unvereinbar. Es braucht das kalte Wasser. 

Mut und Vertrauen sind miteinander verbunden. Wie siehst du das?

Genauso. Man kann einiges mutiger sein, wenn man Vertrauen geniesst. Wenn man auf das Echo von Kunden oder Mitarbeitenden oder der Tatsache, dass man gemeinsam mehr bewegt als allein, zählen kann. Je mehr Vertrauen man geniesst, desto grösser ist die Toleranz. Sie schafft Handlungsspielraum. Allerdings muss man sich das Vertrauen der anderen hart verdienen. Hier kann Mut unterstützen. Die Dynamik der öffentlichen Meinung kann dieses Vertrauen von einem Tag auf den anderen zerschmettern. Darum sollten wir eine gesunde Vertrauenskultur pflegen und fördern. 

Welche sonstigen Aspekte enthält Mut weiter?

Für mich zentral ist das Thema «let go to grow». Wir müssen loslassen, sonst verharren wir im Status quo. Dieser lässt sich vielleicht modernisieren oder optimieren. Allerdings möchten wir ja transformieren, uns von der Konkurrenz und anderen Benchmarks abheben. Um uns neu zu erfinden, müssen wir loslassen. Das heisst, wir sollten nicht nur Lücken schliessen, sondern neue kreieren. 

Wie wirkt sich Mut auf die oder den Mutigen selbst aus?

Mut sehe ich als Geschenk, als Hilfsmittel für ein interessantes Leben. Mut weckt hingegen auch Erwartungen, womit der Druck steigt. Wir müssen uns fragen, welcher Aspekt wie stark wirkt. Erzielen wir mit Mut einen Multiplikationseffekt, dann hat sich der Mut gelohnt. Löst er einen Bumerangeffekt aus, dann haben wir einen Schritt zurück getan. 

Mut hängt mit den Grundwerten zusammen, die wir Menschen vertreten. Er kann Zufriedenheit und positive Energie geben, dazu beflügeln, mit Leidenschaft für eine Sache einzustehen und den Leistungsbeitrag daran messen, was man bewegt – nicht am finanziellen Profit. 

Welcher Aspekt von Mut gefällt dir persönlich am besten?

Der Aspekt der Provokation. Im konstruktiven Sinn, wohlgemerkt. Natürlich kann Provokation polarisieren, als rebellisch wahrgenommen oder falsch verstanden werden. Mir hilft der provokative Aspekt des Muts, eine Inspiration zu kreieren und damit grössere Schritte anzustossen. Wenn man Mut zu einer positiven Provokation nutzt, ist er höchst wertvoll. 

Welche deiner Entscheidungen würdest du als deine mutigste bezeichnen? Und warum?

In meinem Berufsleben habe ich oft neue Themen angepackt. Ich habe Teams und Bereiche aufgebaut, um dann wieder loszulassen und woanders neu zu starten. Mitgenommen habe ich meine Erfahrungen und mich selbst. Eine neue Mission in einer noch grösseren Dimension anzugehen, danach den Status des Status quo herzugeben und dem Team den Gestaltungsraum zu überlassen – das hat meine Karriere geprägt und mich viel Mut gekostet. Ich persönlich schöpfe daraus viel Energie und nähre damit die Leidenschaft für meinen Beitrag zum grossen Ganzen. 

Peter, ich danke dir für dieses interessante Gespräch.

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