Zeit, sich neu zu erfinden

Dimitri Senik
Leader Investor Trust Services, PwC Schweiz

Jack Armstrong
ESG Specialist Asset & Wealth Management, PwC Schweiz

Die Vermögensverwaltungsbranche muss sich neu erfinden. Grosse Vermögen unterliegen derzeit einem Generationenwechsel. Gerade jüngere Vermögende wollen das Preis-Leistungs-Verhältnis optimieren und erwarten Individuallösungen. Generative künstliche Intelligenz (KI) legt den Verantwortlichen ein mächtiges Instrument in die Hand, mit dem sie ihre Kernkompetenz und die gesamte Branche revolutionieren können.

Vertrauen, unterstützt durch KI: menschenzentrierte Prüfung

Damals ist passé

Lange Jahre zeichnete sich die Vermögensverwaltungsindustrie durch Stabilität aus, sowohl im Hinblick auf die Performance als auch auf die Beständigkeit von Talenten und Prozessen. Diese Ära ist passé und die Vermögensverwaltungsbranche sieht sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die geopolitischen Risiken, gestiegene Inflation, omnipräsenter Fachkräftemangel, negative Marktdynamik und andere Belastungen stellen die Vermögensverwaltungsbranche vor immer anspruchsvollere Aufgaben und verändern das Verhalten ihrer wichtigsten Anspruchsgruppen. Dabei steigen die Erwartungen von allen Stakeholders: Investoren, Mitarbeitenden, Aufsichtsbehörden und der Gesellschaft. Gleichzeitig revolutionieren neue Technologien wie generative KI oder Blockchain die Arbeitswelt. Schliesslich gelangen Vermögenswerte vermehrt in die Hände von jüngeren Investoren – sogenannten Millennial-Millionären, welche niedrigere Gebühren, effizienten Informationsaustausch, ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis und massgeschneiderte Lösungen erwarten. Um einen tiefgreifenden Wandel führt kein Weg vorbei. Die Frage ist nur: wie?

Für KI in der Poleposition

Die Fortschritte bei der generativen KI lassen keinen Stein auf dem anderen, auch nicht in der Vermögensverwaltungsbranche. Ein Vergleich mit anderen Industrien zeigt, dass sich generative KI gerade hier besonders lohnend einsetzen lässt (vgl. Abbildung 1). Zwar weist die Branche nur ein moderates Potenzial für eine Gewinnsteigerung auf, doch ist sie auch nur geringen Störungen unterworfen. Die Implementierung von KI-Tools ist in der Vermögensverwaltung vergleichsweise einfach, weshalb sie hervorragend dafür aufgestellt ist. Vorausgesetzt, die Vermögensverwaltungsfirmen schälen die besten Anwendungsfälle heraus und nehmen deren Chancen wahr.

ease of adoption

Abbildung 1: Als Branche mit wenig Disruption ist die Vermögensverwaltung für schnelle Erfolge mit KI prädestiniert.

Mehr Wert aus Daten schöpfen

Die Einsatzmöglichkeiten von generativer KI sind endlos, vom operativen Geschäft über Finanzen, Forschung und Analyse bis hin zu Risikomanagement, Vertrieb, Investment Relations, Compliance und Operations . Bei genauerer Betrachtung der Wertschöpfungskette der Vermögensverwaltung erweisen sich einige Geschäftszweige für das Ausrollen von KI-basierten Tools besser geeignet als andere (vgl. Abbildung 2). Die vielversprechendsten Anwendungsbereiche liegen im Anlageresearch, in der Abwicklung der Anlagetransaktionen und bei den Investor Relations. Hier kann generative KI einen Mehrwert schaffen. Zum Beispiel lässt sie sich für das Generieren, Verifizieren und Monitoring von Anlageentscheidungen einsetzen.

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Abbildung 2: Für Anlageresearch, Abwicklung der Anlagetransaktionen und Investor Relations ist generative KI besonders attraktiv.

Thema mit strategisch-kultureller Dimension

Gemäss einer globalen Erhebung von PwC  glauben fast 90% der befragten Institute, dass der Einsatz disruptiver technologischer Instrumente (Big Data, KI, Blockchain und andere) zu besseren Ergebnissen und Renditen in ihrem Portfolio führt.1 Im Jahr 2023 haben 16% der CEOs in der Schweiz generative KI in ihrem Unternehmen implementiert; weltweit waren es doppelt so viele.2 Diese Reserviertheit hat kulturelle und strukturelle Ursachen. Verglichen mit der Start-up-Haltung in Weltregionen wie Skandinavien, Nordamerika oder Asien legen Schweizer CEOs ein Fast-Follower-Verhalten an den Tag. Bei neuen Technologien wie Cloudlösungen oder generativer KI sind sie selten die Ersten im Markt. Allerdings beobachten sie Märkte, Kundschaft und Mitbewerbende sorgfältig. Durch leicht verzögertes, aber baldiges Einführen der Innovationen statten sie ihre Produkte mit einem höheren Kundennutzen aus und profitieren gleichzeitig von niedrigeren Kosten.

Gewusst wie

Ein internationaler Vergleich gibt Aufschluss darüber, welche Anwendungsfälle derzeit bei den Verantwortlichen von Vermögensverwaltungen hoch im Kurs stehen. Nachfolgend werden beispielhafte Einsatzmöglichkeiten kurz beschrieben.

Generative KI ermöglicht das Erfassen grosser Mengen von makroökonomischen Inputfaktoren, womit sich hervorragende Entscheidungsgrundlagen erarbeiten lassen. Manche Vermögensverwaltungen identifizieren mithilfe von generativer KI Renditefaktoren oder nutzen diese für die dynamische Aufnahme von Interdependenzen und Korrelationen zwischen Inputfaktoren und Renditetreibern. Mit diesem Datenwissen schlägt die generative KI Anlageentscheidungen vor, die zu einem optimierten Rendite-Risiko-Profil führen.

Durch den Einsatz von generativer KI können Vermögensverwalter wesentliche Informationen  zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung (ESG) von Unternehmen in sozialen Medien erkennen und deren Auswirkungen auf die Anlagerenditen und das Risiko dieser Firmen quantifizieren. Einige Vermögensverwalter nutzen generative KI für das Erstellen spezifischer ESG-Inhalte oder für deren Offenlegungen in ihren Nachhaltigkeitsberichten. 

Manche Vermögensverwalter setzen KI-basierte Chatbots ein, um den digitalen Dialog mit bestehenden und potentiellen Kunden gezielt zu optimieren. Andere automatisieren  die Administration von Anlageprodukten und verschaffen ihren Anlagespezialisten so mehr Zeit für Konzeptarbeit. Künstlich intelligente Software kann über mehrere Quellen verteilte, unternehmensinterne und externe Daten in einer «Single Source of Truth» abbilden. Solche Anwendungen ermöglichen Entscheidungen auf Basis konsistenter, zeitnaher und fehlerfreier Daten. Daran gekoppelt ist häufig der Einsatz von KI-Tools für die Publikation von Berichten, was deren Transparenz erhöht und den hochwertigen Dialog mit den Anspruchsgruppen erleichtert. 

Fazit

Neue Technologien wie die generative KI schreiben die Spielregeln der Vermögensverwaltungsbranche neu. Sie bieten den Vermögensverwaltungsfirmen interessante Opportunitäten: Mit durchdachten KI-Anwendungen können sie die Datenqualität als Grundlage für ihre Risiko- und Investmententscheidungen optimieren, die Kundenbeziehung durch vollständige Echtzeitinformationen festigen und ihre Reaktionsfähigkeit gegenüber Aufsichtsbehörden beschleunigen. Schliesslich eliminieren sie Fehler und erhöhen ihre betriebliche Effizienz. Um dieses Potenzial auszuschöpfen, lohnt es sich, als Vorreiter voranzugehen und jene Anwendungsbereiche auszumachen, die tatsächlich kostenwirksam sind. Eine tragfähige Grundlage dafür sind passende Rahmenbedingungen für die verantwortungsvolle Nutzung von Daten.


1 Vgl. «PwC Global Asset Wealth Management and ESG Research Center», 2023

2 Vgl. Schweizer Ausgabe: «27th Annual Swiss CEO Survey», PwC Schweiz, 2024

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