Mit einer datenbasierten Auswertung von Zeitstempeln vor, während und nach der Operation in den Operationssälen von zwei Schweizer Spitälern sowie zusätzlichen Begehungen wurde die Produktivität im OP untersucht. Eine Schlüsselerkenntnis: Überzeit und Produktivität im OP korrelieren.
Überzeit korreliert mit der Produktivität
Für den Patienten ist eine Operation ein beängstigendes Ereignis, das ihm hoffentlich mehr Gesundheit und Lebensqualität bringt. Aus Sicht des Spitals ist sie ein Kostenpunkt, der meistens der höchste im Spital ist, da im OP hochqualifizierte Spezialisten und teure Infrastruktur zusammenkommen. Vor diesem Hintergrund gingen wir der Frage auf den Grund, ob und inwiefern ein Zusammenhang zwischen Kennzahlen von Zeitstempeln, die über den gesamten Operationsvorgang hinweg erfasst und nachträglich ausgewertet werden, und der Produktivität im OP besteht. Die Daten wurden routinemässig erfasst und konnten für die Auswertungen herangezogen werden. Aus den berechneten Kennzahlen kann das OP-Management zu neuen Erkenntnissen gelangen. Mit diversen Tools können diese Erkenntnisse zielgruppengerecht visualisiert werden.
Das Resultat unserer Untersuchung zeigt ein mehrdeutiges Bild: Es besteht ein Zusammenhang zwischen der Überzeit und der Produktivität im OP (zweite Fragestellung). Es wurde deutlich, dass der Anteil der Schnitt‐Naht‐Zeit an der Anwesenheitszeit höher ist, wenn Überzeit gemacht wird, als wenn innerhalb der Betriebszeit gearbeitet wird. Allerdings hat die Überzeit nichts mit der morgendlichen Verspätung zu tun (erste Fragestellung).
Fragestellung und Herangehensweise
Die Hypothese, dass ein Zusammenhang zwischen Kennzahlen aus Routinedaten und Produktivität im OP besteht, unterteilten wir für unsere Untersuchung in zwei durchaus praxisorientierte Fragestellungen.
- Erste Fragestellung: Wird abends zu spät aufgehört, wenn morgens zu spät begonnen wird?
- Zweite Fragestellung: Ist der Anteil der Schnitt‐Naht‐Zeit an der Arbeitszeit höher an Tagen, an denen Überzeit gemacht wird, als an Tagen, an denen die Betriebszeit eingehalten werden kann?
Freundlicherweise haben uns zwei Schweizer Spitäler ihre Daten zur Verfügung gestellt. Zusätzlich konnten wir Begehungen in beiden Operationsbereichen durchführen. Diese Begehungen halfen uns, die Prozesse im Operationssaal und die Herkunft der Daten besser zu verstehen. Im Weiteren haben wir das «Glossar perioperativer Prozesszeiten und Kennzahlen»[1] – kurz digmed‐Standard –herangezogen, um die Daten vergleichbarer zu machen.
Wir extrahierten die Daten aus den Datenbanken der verschiedenen Systeme der beiden Spitäler (KISIM, ORBIS und LOWTeqpdms) und bereiteten sie mit Hilfe der Software Audit Command Language (ACL) auf. Mit dem Business Intelligence Tool Power BI zur interaktiven Datenvisualisierung stellten wir die gewünschten Kennzahlen in übersichtlichen, dynamischen Dashboards dar. Mit der Statistikanwendung Minitab verifizierten wir schliesslich unsere Hypothese.
Anonymisierte Beispiele der erstellten Dashboards
Den beiden Spitälern stellten wir dynamische Dashboards mit Kennzahlen und den Abgleich mit dem digmed‐Standard zur Verfügung. Die graphische Darstellung erleichtert es dem Management, Erkenntnisse aus den Daten zur Prozesseffizienz zu ziehen. Sie erweitern das bestehende Managementinstrumentarium und helfen mit, die Mitarbeitenden im OP für das Thema Zeitstempelerfassung zu sensibilisieren und damit mittelbar die Qualität der Erfassung zu erhöhen.
In dem dargestellten Dashboard wurden mehrere digmed Kennzahlen dargestellt. Die Anzahl Operationen pro Wochentag nach Fallart und die gesamten Operationen nach Fallart sowie der Vergleich der Mediane der Schnitt-Naht-Zeit mit der Zeit des Patienten im Saal und der Zeit der technischen Operationsassistenten am Patienten und der Zeit, in der die Anästhesisten den Patienten betreuen, auf der linken Seite.
Die rechte Grafik zeigt die Prozessschritte ohne die Schnitt-Naht-Zeit, die perioperativen Prozessschritte, im Median und deren Veränderung über die Monate.
Abbildung 1: Beispiel eines Dashboards mit verschiedenen Kennzahlen
Abbildung 2: Beispiel eines Dashboards mit gesetztem Filter auf den OP-Saal 1 am Standort 2
Mit Filtern können gezielt Kennzahlen pro OP‐Saal, Standort oder gar Operateur isoliert betrachtet werden.
Im Verlauf mehrerer Monate werden so Veränderungen sichtbar. Dieses Beispiel zeigt, dass der OP‐Saal 1 am Standort 2 renoviert wurde und einen Einleitungsraum erhalten hat, so dass die ganzen Prozesse rund um die Schnitt‐Naht‐Zeit (rechts) im Durchschnitt schneller wurden.
Schlüsselfaktor Datenqualität
Die Datenqualität ist ein Schlüsselfaktor für die Aussagekraft der Kennzahlen und ihre Verwendung zur Steuerung.
Daten, die analysiert werden, müssen genau betrachtet werden. Ihre Qualität entscheidet über die Qualität der gewonnenen Kennzahlen, die unter anderem für Managemententscheidungen verwendet werden. So wird beispielsweise die Anzahl benötigter Anästhesisten pro Schicht auf der Grundlage von der Betreuungszeit Anästhesie geplant, so dass die Zeitstempel möglichst exakt die Realität widerspiegeln sollten. In den untersuchten Spitälern wurden Daten von rund 10’000 OPs analysiert. Lediglich 38 Prozent der Daten eigneten sich jedoch für die Berechnung der Kennzahlen, da bei 62 Prozent der Daten einzelne Zeitstempel fehlten oder nicht plausibel waren, zum Beispiel weil die Naht vor dem Schnitt gestempelt wurde.
Zudem müssen prozessuale Gegebenheiten berücksichtigt werden. Patienten, die zum Beispiel Vorerkrankungen haben oder enger betreut werden müssen, weil sie vielleicht Angst vor der OP haben, brauchen mehr Zeit bis zur Narkose.
Weiter sind örtliche Unterschiede einzubinden, wenn beispielsweise der OP‐Saal 1 einen separaten Raum für die Einleitung hat, aber der OP‐Saal 3 nicht, wird die Zeit, die der Patient im Saal verbringt, im Saal 3 höher sein, weil erst dort die Narkose eingeleitet werden kann. Oder wenn die Patienten am Morgen gestaffelt bestellt werden, damit sie z.B. nicht anstehen müssen bei der Umbettung, zeigt sich dies in den Zeitstempeln.
Hinzu kommt, dass das OP‐Personal am Patienten arbeitet. Die Erfassung der Zeitstempel am Computer ist eine zusätzliche administrative Arbeit, die eine geringere Priorität hat.
OP-Reporting optimieren
Es soll Transparenz über die Prozesse und Gegebenheiten geschaffen werden. Die Einflüsse, die nicht in den Daten ersichtlich sind, müssen dennoch in den Kennzahlen berücksichtigt werden. Vor Ort im Operationstrakt ist zu beobachten, wie die Abläufe funktionieren, wo die Schwierigkeiten sind und welche Massnahmen hilfreich sein können.
- Wo stehen die PCs, die für die Zeitstempelerfassung verwendet werden?
- Welche Räume stehen zur Verfügung?
- Wie umständlich ist die Erfassung?
- Wer erfasst die Zeitstempel für welchen Prozessschritt?
- Welche technische Unterstützung bietet das Erfassungssystem?
Zudem sollten im Vorfeld Kennzahlen definiert werden, die analysiert werden wollen. Der genannte digmed‐Standard stellt über 30 Kennzahlen zur Verfügung. Es sollte aber mit ausgewählten Stakeholdern definiert werden, was mit den Kennzahlen erreicht werden soll.
- Wollen wir die Effizienz steigern?
- Den Personalbedarf genau berechnen?
- Die OP‐Säle optimieren?
- Die Instrumente besser vorhalten?
Solche Fragen definieren, welche Kennzahlen berechnet und welche Zeitstempel erfasst werden sollten.
Die Erfassung an sich sollte optimiert und dem OP‐Personal so einfach wie möglich gemacht werden. Hier bestehen viele Möglichkeiten, z.B. könnten Barcodescanner eingesetzt werden, wie dies bei der Materialerfassung in einigen Spitälern bereits etabliert ist, weiter wäre es möglich, neue Technologien einzusetzen, die beispielsweise erkennen, wann das Bett mit dem Patienten in den Saal fährt, so würde dieser Zeitstempel automatisch erfasst.
Weiter muss die Datenqualität und deren Optimierung gemessen werden, um auch einen Gewinn aus der optimierten Erfassung zu erhalten. Die Mitarbeiter im OP müssen sensibilisiert werden, weshalb die Zeitstempel erfasst werden, und technologische Unterstützungen angeboten werden. Je höher die Qualität, desto verlässlicher die Kennzahlen und desto valider die Entscheidungen über den optimalen Einsatz von hochqualifizierten Spezialisten und teurer Infrastruktur. Zudem werden Fehlinterpretationen vermieden.
Die Transparenz über die effektiven Prozesse ist Voraussetzung für jede Optimierung im OP und dabei können wir Sie unterstützen.
Wir helfen Ihnen vom ersten Erstellen eines Zeitstempelerfassungskonzepts zum zielgerichteten OP-Reporting. Gerne betreuen wir Sie vor Ort, unsere Sicht von aussen und die Erfahrung in vielen Schweizer Spitälern geben Ihnen Hinweise auf Verbesserungspotenziale. Unsere Methodik kann in jedem OP angewendet werden.
Wir freuen uns auf die Diskussion mit Ihnen.