Vermögensübergabe und -strukturierung im Family Office: Wer teilen will, muss das Ganze sehen

Ein Artikel von Jürg Niederbacher

Mit einer weitsichtigen Vermögensstrukturierung sichert die Inhaberfamilie den Fortbestand des Unternehmens- und Familienvermögens. Denn mit ihr klären Familien die Daseinsfrage und Ziele ihrer Vermögen – für sich selbst und für die nächste Generation.

Vermögen ist Geld – aber nicht nur. Hinter jedem Vermögen einer Inhaberfamilie stehen eine Geschichte, ein oder mehrere Unternehmen sowie Menschen. Und damit Emotionen. Also beginnt die Vermögensübergabe mit einer Herzensfrage und einer der schwierigsten unternehmerischen Entscheidungen überhaupt: Sehen wir unser Vermögen als Verpflichtung gegenüber der nächsten und weiteren Generationen oder als reines Investment? Stellen wir den Fortbestand des Unternehmens ins Zentrum unserer Betrachtung oder geht es um finanzielle Ansprüche? Die meisten Inhaberfamilien wollen ihr Vermögen so weitergeben, dass die nächste Generation es bestmöglich pflegen, vermehren und ein erfülltes sowie selbstbestimmtes Leben führen kann. Sie wollen das Vermögen zusammenhalten und in der Familie in die Zukunft führen. Diese langfristige Zielorientierung ist mehrschichtig. Sie umfasst die ökonomischen Vermögenswerte an sich, aber auch die emotionale Verbundenheit zum Unternehmen, den familiären Zusammenhalt und das Glück jedes Einzelnen. Dass nicht alle Inhaberfamilien diesen bunten Strauss an Zielen erreichen, zeigt die Statistik: Von 100 gegründeten Schweizer Familienunternehmen erleben 30 die zweite Generation, 13 die dritte und nur drei die vierte Generation.

Bezug weckt Verantwortung

Zu einer Firma, Produkten, einem Standort oder einer Firmentradition kann sich ein emotionales Engagement entwickeln. Diese Verbundenheit beeinflusst den Umgang der nächsten Generation mit dem Vermögen und ist mitunter ausschlaggebend für den Erfolg der Übergabe grosser Vermögenswerte wie einem Familienunternehmen. Vielen Inhaberfamilien liegt dieser Bezug am Herzen. Mit einem starken Wertegerüst und Instrumenten der Family Governance führen sie die nächste Generation an ihr Unternehmen heran und stellen sicher, dass diese das Unternehmensvermögen mit demselben Verantwortungsbewusstsein betrachtet und weiterführt wie sie selber. Zum Beispiel, indem sie im Familienrat regelmässig und transparent mit der Nachfolgegeneration über die Vermögenssituation sprechen. Oder indem sie gemeinsame Familienaktivitäten und -rituale pflegen, sich für die Vermittlung ihrer unternehmerischen Werte und Prinzipien an Kommunikationsregeln halten oder ein Familienintranet nutzen.

Getrennt oder gemeinsam?

Idealerweise wächst ein Vermögen. Damit steigen allerdings dessen Komplexität und die vermögensrelevanten Herausforderungen. Auch die Inhaberfamilie wird meistens von Generation zu Generation grösser. Mehr Personen heisst mehr und unterschiedliche Interessen, Erwartungen und Ansprüche. Und jede weitere Generation bedeutet eine grössere Herausforderung. Um dieser steigenden Komplexität und Vielschichtigkeit zu begegnen, muss sich die Inhaberfamilie mit der Vermögensübergabe eine Grundsatzfrage stellen: getrennt oder gemeinsam? Diese Entscheidung definiert, wie sich ein Vermögen in der Familie halten, verwalten, vermehren und die zunehmende Anzahl Begünstigter kontrollieren lässt. Immer mit dem Ziel, das Familienunternehmen mit einer Stimme – der Stimme der Familie – zu führen und gleichzeitig den Bedürfnissen der einzelnen Familien-mitglieder gerecht zu werden. Im Zeitalter der Individualisierung entscheiden sich viele Inhaberfamilien für einen zumindest teilweise getrennten Ansatz – jeder soll möglichst auch über ein gewisses Privat-vermögen verfügen können. Nachfolgegenerationen sind heute gut ausgebildet, verlangen Selbstständigkeit und erhöhen den Druck, nicht nur die Unternehmensführung, sondern auch die Inhaberschaft zu übernehmen. Die Interessen in vermögenden Familien laufen oft weit auseinander. Die einen möchten Familie, die anderen Geld, die dritten Status, die vierten Macht und wieder andere wollen mit alldem gar nichts zu tun haben. Werden derart divergierende Belange nicht strukturiert, entstehen Spannungen und Konflikte, die sogar zum Bruch führen können. Die Version «zusammen» kann ebenfalls Sinn ergeben. Ein Beispiel dafür sind die Zürcher Ziegeleien.

Diese Unternehmensgruppe entstand unter der Leitung der Familien-dynastie Schmidheiny. Die Inhaberfamilie erkannte, dass Ziegel in der Bauwirtschaft keine wirkliche Zukunft haben würden. So setzte sie auf Diversifikation und richtete das Konglomerat komplett neu aus. Der Ausstieg aus dem Ziegeleigeschäft begann in den 1990er-Jahren. Eine dafür notwendige Holdingstruktur wurde 1992 gegründet. Zum hundert-jährigen Firmenjubiläum erfolgte die Umbenennung in Conzzeta. Mit dem neuen Namen brachte die Inhaberdynastie die stark diversifizierte Tätigkeit in den Geschäftsfeldern Blechbearbeitung, Schaumstoffe und Outdoor zum Ausdruck. Die Gruppe beschäftigt heute über 5’000 Mitarbeitende an mehr als 60 Standorten. Seit 1996 ist sie an der SIX Swiss Exchange kotiert.

Vermögen ungleich Vermögen

Um das Vermögen mit einer langfristigen Perspektive zu strukturieren, empfiehlt sich eine Gliederung in drei Kategorien:

a) Unternehmensvermögen: Es umfasst sämtliche Unternehmensanteile, die von einer Familie über eine Struktur – zum Beispiel eine Holdinggesellschaft – gemeinsam gehalten werden. So kann die Inhaberfamilie die Kontrolle über das operative Geschäft wahrnehmen.

b) (Stammes-)Familienvermögen: Diese Vermögenswertenkönnen Minderheitsbeteiligungen, Aktien, Land- und Forstwirtschaft, Immobilien oder andere von der Familie oder dem Familienstamm gehaltene Werte sein. Sie lassen sich zum Beispiel von einem Family Office bewirtschaften.

c) Privatvermögen: Das sind Vermögenswerte, die den einzelnen Familienmitgliedern privat gehören, zum Beispiel Häuser, Depots, Lebensversicherung und andere Werte. An dieser Stelle eine kurze Begriffsklärung. Der Anglizismus «Family Office» wird vielfältig verwendet. Wir verstehen darunter einen Dienstleister für die Inhaberfamilie. Je nach Vermögenswerten, Standorten oder Bedürfnissen kann das Family Office Teil der Vermögensstruktur sein, muss aber nicht. Meistens übernimmt es in erster Linie die Vermögensverwaltung, also Vermögensbuchhaltung, Controlling, Berichterstattung und Vermögensbetreuung. Zudem kann es weitere Aufgaben für die Inhaberfamilie erledigen, etwa rechtliche oder steuerliche Angelegenheiten, die Nachfolgeregelung oder die Umsetzung eines gemeinnützigen Engagements.

Struktur gibt Sicherheit

Mit einer systematischen Strukturierung sichert die Inhaberfamilie die Nachhaltigkeit des Vermögens. Dabei stehen zwei Ansinnen im Mittelpunkt.

  • Erstens soll das Unternehmensvermögen von einer möglichst überschaubaren Gruppe einflussreicher Anteilseigner gehalten werden, damit es nicht zu einer Zersplitterung der Anteile oder zur Verwässerung der strategischen Ausrichtung des Unternehmens kommt.
  • Zweitens will man das Vermögen vor zu viel Einfluss oder Individualinteressen einzelner Familienmitglieder schützen. Zum Beispiel für den Fall, dass jemand plötzlich aussteigen und seine Anteile verkaufen möchte, aber auch für den Fall, dass Familienmitglieder nicht für eine leitende Funktion im Unternehmen qualifizieren. 

Für die Vermögensstrukturierung eignen sich Gefässe wie Holding, Stiftung oder Trust. Mit einer Stiftung zum Beispiel lässt sich die Mitbestimmung der wirtschaftlich Berechtigten am Vermögen einschränken und die individuelle Freiheit zum Wohle des Ganzen begrenzen. So können die begünstigten Familienmitglieder je nach Ausgestaltung zwar laufend ein Einkommen erhalten, ihr Mitspracherecht in geschäftlichen Angelegenheiten kann aber bis auf null eingeschränkt werden. Aktuell zeigt sich ein klarer Trend, betriebliche und nichtbetriebliche Vermögenswerte zu trennen. De facto entstehen voneinander unabhängige Einheiten: zum Beispiel ein operativer Betrieb und eine Immobiliengesellschaft. Diese Trennung verhindert, dass die operative Gesellschaft zu «schwer» ist, ermöglicht eine bessere Absicherung des Vermögens und erleichtert auch die Aufteilung von Vermögenswerten unter Nachkommen. Gerade die Reduktion des Risikoprofils ist ein Anlegerbedürfnis, das in der Covid-19-Ära stark gestiegen ist.

Kein Richtig oder Falsch

Beim Strukturieren und Übergeben von Vermögenswerten gibt es weder Richtig noch Falsch. Denn jedes Vermögen ist so individuell wie die Inhaberfamilie und das Unternehmen selbst. Entsprechend zahlreich sind die möglichen Strukturen und Kombinationen. Allerdings bietet jede Vermögensübergabe die Chance, die Dinge neu zu ordnen. Denn sie wirft die Frage nach der Bedeutung des Unternehmensvermögens und nach dem Daseinsverständnis der Inhaberfamilie auf. Geht es um eine generationenübergreifende Verpflichtung oder einfach um Geld? Mit einer weitsichtigen Vermögensstrukturierung kann die Inhaberschaft darüberbefinden, wer an ihrem Zweck beteiligt sein soll und wer nicht. Zudem kann sie ihre unternehmerische Ausrichtung überdenken und entscheiden, ob sie diese auch für kommende Generationen als Erfolg versprechend erachtet. Eine transparente Vermögensstrukturierung vereint Wünsche, Haltungen und Erwartungen und sichert die Beständigkeit von Vermögen und Familie.

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Partner, Leader Private Clients & Family Offices, PwC Switzerland

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