Betrug, Erpressung, Falschbilanzierung, Geldwäsche, Insiderhandel, Insolvenzdelikte, Konkurrenzausspähung, Wirtschaftsspionage, Korruption, Produktpiraterie, Kartellabsprachen, Unterschlagung – die Liste der Delikte, die unter Wirtschaftskriminalität fallen, ist schier endlos. Wirtschaftskriminalität wird denn auch immer komplexer, internationaler und digitaler. Allen Straftaten gemeinsam ist die Tatsache, dass Vertrauen missbraucht wird und Kontrollen oder Präventionsmassnahmen nicht greifen. Wirtschaftliche Ökosysteme bauen auf Vertrauen. Sie funktionieren nur, wenn sich die Systempartner aufeinander verlassen können. Nur: Studien zeigen, dass 60% der Menschen so ehrlich sind, wie es die Umstände erfordern. Gelegenheit macht also tatsächlich Diebe.
Der Wirtschafts- und Finanzplatz Schweiz zieht nicht nur Investoren an, sondern auch Kriminelle. Deren Machenschaften besonders ausgesetzt sind Unternehmen mit Geldumlauf, also Banken und Versicherungen. Hier müssen Marktleistungen nicht erst zu Geld gemacht werden, sondern liegen bereits als solches vor. Ob von einem Einzeltäter oder einer kriminellen Organisation begangen, Wirtschaftskriminalität könnte kreativer kaum sein. Hier die häufigsten Delikte im Überblick.
- Bestechung und Korruption gehören zu den häufigsten Wirtschaftsdelikten. Korruption lähmt die Entwicklung von ganzen Regionen, verhindert einen fairen Wettbewerb und die gerechte Verteilung der Mittel. Ein Drittel bis zur Hälfte der Hilfsgelder für Entwicklungsländer versickert auf dem Weg zu den Bedürftigen.
- Die Schweiz belegt bei der Korruption im öffentlichen Sektor im Korruptionsranking 2018 von Transparency International mit 85 von 100 möglichen Punkten den Platz 3 der 180 Länder, gleichauf mit Finnland, Schweden und Singapur. Trotzdem wirken sich Bestechung und Korruption auch hier aufs Geschäft aus: Mehr als ein Viertel der Schweizer Unternehmen wurden in den letzten 24 Monaten zur Bestechung aufgefordert; 20% haben eine Geschäftsmöglichkeit an einen Mitbewerber verloren, von dem sie glauben, er sei bestochen worden. Der unmittelbare finanzielle Schaden der Schweizer Unternehmen in Bezug auf kriminelle Handlungen liegt um mehr als das Fünffache über dem weltweiten Durchschnitt.[1]
- Identitätsklau findet dann statt, wenn jemand unter falschem Namen agiert und sich finanzielle Vorteile erwirtschaftet. Er ist einer der häufigsten Tricks, um Geldflüsse dauerhaft umzulenken oder Transaktionen auszulösen.
- Durch Erpressung versucht jemand, sich unrechtmässig zu bereichern, etwa durch Androhung von Gewalt oder eines grossen Schadens, zum Beispiel durch Löschen von Daten. Ein klassisches Beispiel dafür war der Hackerangriff auf den Bürobedarfgrossisten Offix von Juli 2019.
- Als Wirtschaftsspionage gilt der Diebstahl von Ideen, Wissen oder Daten, die durch den Weiterverkauf kapitalisiert werden. Die Schweizer Volkswirtschaft ist bekannt für ihr Know-how, die Qualität ihrer Produkte und ihre Innovationskraft. Für manche ausländische Nachrichtendienste oder private Kriminelle sind Schweizer Unternehmen ein interessantes Ziel, sei es zur Beschaffung von Technologien oder zur Gewinnung von Geschäftsgeheimnissen.
[1] «Globale Umfrage zur Wirtschaftskriminalität 2018 – Schweizer Erkenntnisse», PwC, 2018
Die Stimme des Gesetzes
Praktisch alle internationalen Organisationen haben Richtlinien und Standards gegen Wirtschaftskriminalität erlassen. Die Weltbank zum Beispiel macht klare Vorschriften für die Finanzierung von Entwicklungsprojekten. Die OECD hat 1997 die Antikorruptionskonvention publiziert und seither diverse Grundsätze und Initiativen zur Bekämpfung von Schattenwirtschaft, Wirtschafts- und Steuerkriminalität lanciert, etwa den 15-Punkte-Plan zu «Base Erosion and Profit Shifting (BEPS)».
Die Schweiz bekämpft Wirtschaftskriminalität ebenfalls. Neben technischen Hilfsmitteln und der interdisziplinären Zusammenarbeit von Experten und Behörden versucht sie, adäquate Gesetzesgrundlagen zu schaffen. Zum Beispiel diese:
- Artikel 102 des Strafgesetzbuches (StGB) erlaubt es, strafrechtlich gegen ein Unternehmen vorzusehen, wenn dieses nicht alle erforderlichen und zumutbaren organisatorischen Vorkehrungen getroffen hat, um Straftaten wie Geldwäsche und Korruption zu verhindern (sogenanntes Organisationsverschulden).
- Seit der Revision des Korruptionsstrafrechts von 2016 wird die Bestechung von Privaten von Amtes wegen verfolgt. Lange war nur Beamtenbestechung eine Straftat.
- Seit dem 1. Juli 2016 ist das Bundesgesetz über die Sperrung und die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte (SRVG) in Kraft.
- Im August 2018 hat der Bundesrat das Kooperationsabkommen mit Europol um den Europol-Deliktskatalog erweitert. Dieser umfasst unter anderem den Insiderhandel, Finanzmarktmanipulation und Straftaten gegen die finanziellen Interessen der europäischen Länder.
Wahrnehmung vs. Realität
Bekannte Fälle wie der FIFA Vorfall werden rasch mit der Schweiz in Verbindung gebracht. Immerhin verwaltet diese rund zwei Drittel des privaten Weltvermögens und beheimatet namhafte Weltkonzerne. Gerade im Zusammenhang mit Geldwäschereidelikten ist die Schweiz stark exponiert.
Wie die Unternehmen selber Wirtschaftskriminalität gewichten, hängt direkt mit der Sensibilität für einzelne Themen zusammen. Das Bewusstsein für Wirtschaftsdelikte ist kleiner als deren Vorkommen. Denn Wirtschaftskriminalität ist nicht leicht zu erkennen und nachzuvollziehen. Regulierte Branchen wie Finanz- und Versicherungsdienstleister, Telekomanbieter oder die Pharmaindustrie sind geübter, weil sie schon gesetzmässig mehr dagegen tun müssen. Dasselbe gilt für Firmen auf dem Radar des US-Gesetzgebers.
Im Tempo des technologischen Fortschritts
Die Internationalisierung und die rasante Entwicklung digitaler Technologien haben zu einer neuen Dimension von Wirtschaftsdelikten geführt. Vor 200 Jahren geschah ein Banküberfall hoch zu Ross, später wurden gepanzerte Fahrzeuge entführt. Heute klauen gesichtslose Hacker im Schatten der Virtualität wertvolle Daten. Allen Ereignissen ist eines gemeinsam: Sie sind verboten. Die Veränderung der Deliktarten geht Hand in Hand mit dem technologischen Wandel. Denn letztlich ist die Technologie nur ein Mittel zum Zweck.
Im Gegensatz zu anderen Betrugsformen ist Cyberkriminalität kein eigenständiges Vergehen, sondern ein Instrument, um andere Wirtschaftsdelikte zu begehen. 41% der befragten Schweizer Unternehmen nehmen sie als grösstes Risiko wahr. Mehr als ein Fünftel berichtete, dass der Cyberangriff als Mittel zur Veruntreuung von Vermögenswerten gegen ihre Organisation benutzt worden war. Trotzdem haben in der Schweiz nur etwas mehr als die Hälfte ein einsatzbereites Cybersecurity-Programm, deutlich unter dem weltweiten Durchschnitt (vgl. «Globale Umfrage zur Wirtschaftskriminalität 2018 – Schweizer Erkenntnisse», PwC, 2018).
Den Riegel schieben
Um gegen Wirtschaftskriminalität vorzugehen, können die Unternehmen unterschiedliche Ansätze verfolgen: