Die Gesellschafter des Schweizer Familienunternehmens Hinderer/Clienia haben eine Inhaberstrategie und eine Familienverfassung entwickelt. David J. Bosshard, Vertreter der fünften Generation und Gruppen-CEO, erläutert im Gespräch mit Reto Blaser, inwiefern dieser Prozess für alle Beteiligten wertvoll war.
Herr Bosshard, was gab den Ausschlag für eine Inhaberstrategie?
Zahlreiche Ereignisse haben unsere Familiengeschichte geprägt. Ein schicksalhafter Flugzeugabsturz meines Grossvaters löste jäh die Übergabe von der dritten zur vierten Generation aus. Das traf die drei Geschwister der vierten Generation viel zu früh und unvorbereitet. Trotzdem gelang ihnen die erfolgreiche Weiterführung. Später trennte sich der mehrheitlich aus Familienmitgliedern bestehende Verwaltungsrat vom damaligen Geschäftsführer, dem Ehemann meiner Tante. Diese Trennung war schmerzhaft und entzweite die Geschwister. Die Aktien meiner Grossmutter wurden in der Folge ungleich per Erbgang – also nach ihrem Tod – weitergegeben, was nie als ganz gerecht empfunden wurde. Heute wissen wir, dass alle Beteiligten nach bestem Wissen gehandelt haben, die nötige Struktur und die Vertrauensbasis jedoch fehlten. Gemeinsam mit meinem Cousin und Verwaltungsratsmitglied Michael Schumacher wollten wir es in der fünften Generation bewusst anders machen. Denn wir Cousinen und Cousins haben uns von Kindesbeinen an gut verstanden. Michael und ich waren ja auch schon ein Weilchen im Geschäft und trugen Verantwortung. Also regten wir die Entwicklung einer Eignerstrategie mit Aktionärsbindungsvertrag an.
Wer sass alles am Tisch?
Die vierte und fünfte Generation, mit Ausnahme der Kinder meines Onkels. Diese beiden haben keine Nachkommen. Ganz zu Beginn der Gespräche brachten sie zum Ausdruck, dass sie kein Interesse an der Firma hätten und nicht weiter in den Prozess involviert sein wollten. In dieser frühen Phase half uns PwC als externe Drittpartei, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und Klarheit darüber zu erlangen, wer was will oder eben nicht. Diese Aussprache war schwierig und zugleich heilsam. Sie führte dazu, dass mein Onkel seine Aktien zum Verkauf anbot. So kamen die Dinge ins Rollen.
Wie ging es weiter?
Noch war unklar, wie sich die Aktiennachfolge meiner Mutter und Tante regeln liesse. Dazu führten die Nachfolgeexperten von PwC eine sogenannte Generationen-Challenge mit uns durch. Das waren nach Generationen getrennte Gespräche, in denen es um die Beweggründe der jeweiligen Generation ging. Welche Motive spielten für bestehende und zukünftige Aktionäre eine Rolle und wie konnte man ihnen gerecht werden? Wir diskutierten unsere Ambitionen, Wünsche und die Bereitschaft zum unternehmerischen Engagement. Dieser Prozess war fragil, doch vertrauensbildend. Denn am Ende sprach die vierte Generation der fünften das Vertrauen aus und erklärte sich bereit, uns ihren Aktienanteil vollständig weiterzugeben.
Sind weitere Familienmitglieder operativ tätig?
Ja. Meine Cousine Christine Meyer ist gelernte medizinische Praxisassistentin und arbeitet in einer unserer Gruppenpraxen. Sie kennt den Betriebsalltag wie kaum jemand in der Familie. Wir erachten das Mitwirken von Familienmitgliedern im Unternehmen als erstrebenswert und sinnvoll. Darum haben wir auch deren Auswählen, Anstellen und Abwählen in der Familienverfassung geklärt. So sind z.B. keine direkten Unterstellungsverhältnisse erlaubt, die Mindestqualifikation muss dem Vergleich mit Dritten standhalten oder Familienmitglieder des Verwaltungsrats treten bei derartigen Personalentscheiden in den Ausstand. Mit solchen Bestimmungen möchten wir einen familiären Zwist verhindern, wie das in der vierten Generation vorgefallen war.
„Wir erachten das Mitwirken von Familienmitgliedern im Unternehmen als erstrebenswert und sinnvoll.“
Die Familienverfassung scheint eines Ihrer Schlüsseldokumente zu sein.
Genau. Hier haben wir die Eckwerte unserer Eignerstrategie festgehalten. Den Verwaltungsratspräsidenten und weitere Verwaltungsratsmitglieder haben wir aus Compliance-Gründen mit externen Fachpersonen besetzt. Unsere Familienverfassung ist auch diesen externen Verwaltungsräten zugänglich. Den Führungskräften und Kadermitarbeitenden der Gruppenunternehmen haben wir die Familienverfassung auszugsweise präsentiert, in Anwesenheit des gesamten Aktionariats. Diese Transparenz entspricht unseren Werten.
Die da wären?
Zu unseren Kernwerten gehören Bescheidenheit und Demut. Wir sehen das Familienunternehmen als Geschenk der Vorgeneration, das wir an die nächste weitergeben möchten. Eine starke Anspruchsgruppenorientierung ist uns ebenfalls wichtig. So stellen wir die Interessen von Patienten, Mitarbeitenden und Geschäftspartnern über unsere eigenen. Auch der offene, ehrliche und transparente Umgang innerhalb der Familie gehört dazu.
Wie sieht dieser aus?
Wir wollen allen Generationen vermitteln, dass sie füreinander und für das Unternehmen wertvoll sind. Auch ehemalige Aktionäre sollen sich nicht von der Firma ausgegrenzt fühlen. Deshalb treffen wir uns wiederholt an Anlässen der Unternehmen unserer Gruppe. Zudem führen wir in regelmässigen Abständen einen Familientag durch. Und schliesslich binden wir die nächste und sechste Generation ein.
Inwiefern?
Wir führen unsere Kinder auf eine lockere Art an unsere Geschäftsbereiche heran. So sind die Jugendlichen der sechsten Generation für die Organisation des Familientags zuständig. Zudem sind drei Mädchen in der Kommission für soziales Engagement und zwei in einer Stiftung der Clienia-Gruppe engagiert. Unsere Kinder sichten Spendengesuche und lernen so diverse gemeinnützige Institutionen im psychiatrischen Bereich kennen. Für die Ältesten gibt es einen „Next Generation Day“. Mit all diesen Massnahmen möchten wir das Interesse unserer Kinder für das Familienunternehmen wecken, ohne Druck auszuüben. Denn wir wünschen uns natürlich, dass unsere Kinder irgendwann – in welcher Rolle auch immer – hier einsteigen.
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Hinderer/Clienia-Gruppe
1889 gründete Gottlieb Hinderer ein christliches Familien- und Pflegeheim für Geisteskranke als Wohn- und Arbeitsgemeinschaft im Bauernbetrieb. Heute sind sämtliche Hinderer-Firmen unter dem Dach der Hinderer Holding AG vereint und auf zwei Geschäftsbereiche spezialisiert: Mit 18 Standorten im Kanton Zürich und in der Ostschweiz bietet die Clienia-Gruppe psychiatrische Dienstleistungen im stationären und ambulanten Bereich an. Die Immobilienfirmen der Hinderer-Gruppe betreiben und entwickeln Gesundheitsliegenschaften und Mietwohnungen. Die Hinderer-Unternehmen erwirtschaften einen jährlichen Gesamtumsatz von 200 Mio. Schweizer Franken. Die Clienia-Gruppe beschäftigt rund 1.600 Mitarbeitende. David J. Bosshard ist seit 1999 operativ im familieneigenen Unternehmen tätig. Er begann als Verwaltungsleiter und amtiert heute als Gruppen-CEO und Mitglied des Verwaltungsrates.