Die Dekarbonisierung mit einer Netto-Null-Verpflichtung ist der konkrete Beitrag der Schweizer Wirtschaft zu einer engagierten Klimapolitik und grüneren Zukunft. Es gibt ausreichend gute Gründe, warum der Wirtschaftsstandort Schweiz von diesem Engagement profitiert.
Dem CO2-Fussabdruck auf der Spur
Dekarbonisierung beschreibt das Eliminieren sämtlicher CO2-Aspekte, die in einer Wertschöpfungskette enthalten sind. Wo das naturgemäss nicht möglich ist, findet eine CO2-Kompensation durch einen sinnvollen Emissionshandel innerhalb der Wertschöpfungskette statt. Ein solcher Ausgleich ist Bestandteil des Übereinkommens von Paris und soll verhindern, dass Verpflichtungen rein über das Auslagern an andere erfüllt werden.
Grundlage für eine zielführende Dekarbonisierung der Wirtschaft sind rechtliche Rahmenbedingungen und ein eigenverantwortliches Engagement der Wirtschaftsakteure (vgl. Blogpost «Wandel braucht einen Rahmen»). Immer mehr Unternehmen haben ihre Verpflichtung zu «Net Zero» kommuniziert; die nächsten Jahre werden entscheidend sein für die erfolgreiche Umsetzung dieser Pläne.
Mehrfach gefordert
Zurzeit sind in verschiedenen Wirtschaftssektoren Bestrebungen zur Verringerung des CO2-Ausstosses im Gang. Allerdings existieren aktuell noch nicht für alle Herausforderungen passende Lösungen. Denn Innovationen und Technologien sind nur teilweise ausreichend skalierbar, wie dies das Beispiel der Wasserstofftechnologie zeigt (vgl. Box unten). Ausserdem übersteigt der Zeitrahmen von 20 bis 30 Jahren, wie ihn die langfristige Klimastrategie der Schweiz aufzieht, den üblichen Planungshorizont der Unternehmen.
Über die Landesgrenzen hinaus
Dennoch besteht eine gewisse Dringlichkeit, das Thema auf Unternehmensseite aktiver in strategische Entscheide einzubeziehen. Denn die Schweiz ist vom Klimawandel überdurchschnittlich betroffen. Klimaveränderungen wirken sich in unserem Alpenland und Wasserschloss Europas stark aus. So erwärmt sich die Schweiz beispielsweise doppelt so stark wie der weltweite Durchschnitt. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten eines ungebremsten Klimawandels übersteigen den finanziellen Aufwand von Massnahmen für den Klimaschutz bei Weitem. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) rechnet mit Einbussen durch Folgen des Klimawandels von jährlich bis zu 4 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2050. Das Netto-Null-Ziel ist schon deshalb von wirtschaftlicher Brisanz.
Auch hat der Klimawandel kurz- und mittelfristige Auswirkungen auf Firmen. Die Schweizer Privatwirtschaft ist international eng vernetzt. Von der Beschaffung über den Vertrieb bis zur Finanzierung sind Schweizer Unternehmen auf ausländische Partner angewiesen oder betreiben wie Finanzunternehmen einen beträchtlichen Teil ihrer Aktivitäten im Ausland. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass ausländische Regulierungen oft auch von Schweizer Unternehmen berücksichtigt werden müssen. Ein Beispiel sind die Anforderungen von internationalen Bestrebungen wie dem Green Deal oder dem EU-Aktionsplan für Finanzen nach ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Governance) und die insgesamt ansteigenden Ambitionen, die sich mit der erhöhten Wahrnehmung und Dringlichkeit insbesondere auf multinationale Konzerne auswirken. Sie gelten aber auch für Schweizer Unternehmen mit entsprechender Tätigkeit in der EU oder anderen Ländern gelten, sowie für Firmen, die den grenzüberschreitenden Finanzströmen ausgesetzt sind.
Gestiegene Erwartungen
Die Erwartungen von Konsumenten, Mitarbeitern, Dialoggruppen und Investoren haben sich enorm verändert. Oft erwarten sie ESG-konformes Verhalten von einem Unternehmen. Zudem steigt der Druck zur nachhaltigen Emissionsreduktion als Teil der Nachhaltigkeitsstrategie einer Firma, da eine externe CO2-Kompensation angesichts der strengeren Regulation und einer immer sensibleren Öffentlichkeit nicht mehr ausreichen wird.
Nach über einem Jahr COVID-19 rücken wieder andere Themen auf die Agenden der Entscheidungsträger, allen voran der Klimawandel. Um die bisherigen Bestrebungen zu konkretisieren, stehen diverse Entscheidungen an. Sie sind Grundlage für die Entwicklung einer Green Economy und eines nachhaltigen Wirtschaftsstandorts Schweiz – und sie bergen interessante Chancen.
Die Industrieproduktion ist geprägt von einem rasanten Wandel, der Innovation, globale Disruption, Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle umfasst. Dies bietet die Chance, das Thema Dekarbonisierung aktiv anzugehen, Lösungen zu entwickeln und dadurch langfristig Marktvorteile aufzubauen.
Mehr Innovationskraft und Resilienz
Schweizer Unternehmen sind auf einen klimaresilienten Wirtschaftsstandort angewiesen. Dank des dualen Bildungssystems und renommierter Institute (z.B. ETH, EPFL, Universitäten und Fachhochschulen) weist die Schweiz einen hohen Innovationsgrad aus. Oft arbeiten diese in der Forschung und Entwicklung Hand in Hand mit der Wirtschaft zusammen, was gerade im Bereich Dekarbonisierung zu Spin-offs und wegweisenden Cleantech-Innovationen führen kann. Dieses Potenzial hat einen grossen Einfluss auf die Standortattraktivität und ist ein wesentlicher Eckpfeiler für den Aufbau einer grünen Wirtschaft.
Weitreichende Rückkopplungseffekte
Das Klimarisiko korreliert mit anderen wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Risiken. So kann ein Verlust der Biodiversität die Finanzmarktstabilität gefährden. Solche Rückkopplungseffekte dürften die Vertragsstaaten der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) im Herbst 2021 thematisieren. Im Weiteren erhöht der zivilisatorische Vormarsch die Gefahr von Zoonosen, wie das bei COVID-19 der Fall war.
Wenn sich Kreise schliessen
Das Wertegerüst eines Unternehmens wirkt sich merklich auf seine betriebswirtschaftliche Leistung aus. Firmen, die auf Nachhaltigkeit setzen und starke Dekarbonisierungsmassnahmen etabliert haben, sind nachweislich stärker in sämtlichen ESG-Themen. Ein Ansatz, der immer mehr in den Fokus rückt, ist die Kreislaufwirtschaft. Sie konzentriert sich darauf, den Verbrauch von Primärrohstoffen zu reduzieren, eine resilientere Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen und systemische Risiken im Zusammenhang mit der Verschwendung von Ressourcen anzugehen – indem die technischen Fähigkeiten der Schweiz und ihr Zugang zu Finanzmitteln gewinnbringend genutzt werden.
Mit einem zirkulären Geschäftsmodell wird somit der Wert von Kapital und Wertstoffen maximiert und gleichzeitig die Klimaresilienz eines Unternehmens erhöht. Dazu sieht die Kreislaufwirtschaft gemäss Definition im Bericht von PwC und WWF vier Strategien vor:
a) Verlangsamen: Längere Lebenszyklen verlangsamen den Konsum, reduzieren die Kosten, steigern die Effizienz, senken die Risiken der Beschaffung und bergen ein Potenzial für neue Geschäftsmodelle (z.B. Leasing).
b) Begrenzen: Wer weniger Ressourcen pro Produkt verwendet, kann in Forschung und Entwicklung investieren und bringt mehr Innovationen hervor.
c) Schliessen: Das Transformieren von Abfällen zu Wertstoffen schliesst den Wertstoffkreislauf, reduziert Beschaffungskosten, verlängert die Kundenbeziehung und erhöht sowohl Kundenkontakte als auch die Weiterempfehlungsrate.
d) Regenerieren: Die Regeneration von Ressourcen optimiert die natürlichen Ökosysteme. So wiederum lassen sich zukünftige Quellen für Produktionsmittel und neue Beschaffungskanäle sichern.
Die Kreislaufwirtschaft unterstützt eine nachhaltige Entwicklung. Sie zielt darauf ab, die Ressourcen zu sichern, die heutige und zukünftige Generationen benötigen. Durch die Minimierung des Ressourceneinsatzes entsteht weniger Abfall sowie ein geringer Energieverlust bei Produkten im Laufe der Zeit. Durch die Reduktion von Emissionen kann die Kreislaufwirtschaft einen wichtigen Teil zur Erreichung der «Net Zero»-Ziele beitragen.
Wasserstofftechnologie
Der Aufbau einer kohlenstoffarmen Wasserstoffwirtschaft hat das Potenzial, eine entscheidende Rolle bei der Dekarbonisierung zu spielen. Wasserstoff kann unter anderem als Energieträger eingesetzt und als Alternative zu Erdgas verwendet werden. Ausserdem besitzt grüner Wasserstoff beispielsweise in der Stahlproduktion oder auch in der Herstellung synthetischen Kerosins das Potenzial, Emissionen in Bereichen zu reduzieren, in denen dies aus Energieeffizienzgründen bisher kaum möglich war. Eine kürzlich von Strategy&, der globalen Strategieberatung von PwC, publizierte Studie zeigt auf, dass ausgehend von einem anhaltenden Nachhaltigkeitstrend, in dem Kohlenwasserstoffe in der Wirtschaft sukzessive ersetzt werden, sich die globale Wasserstoffnachfrage zwischen 2019 und 2040 von 71 Mt auf 137 Mt fast verdoppeln wird. Doch für den Aufbau einer solchen Wirtschaft braucht es lokale und internationale Investitionen in Infrastruktur, zum Beispiel in den Bau und den Betrieb von Wasserstofftankstellen, in Verteilungsnetze und -technologie, in die Entwicklung neuer und sauberer Wasserstoffgewinnung sowie in die Projektentwicklung, um Technologieanwendungen für Industriebranchen verfügbar und nutzbar zu machen.
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Daniel Anliker
Industrial Manufacturing & Automotive Territory Leader, Partner Assurance, PwC Switzerland
Tel.: +41 58 792 2166