Aus der Vergangenheit lernen, um (buchstäblich) eine bessere Zukunft zu bauen

Trust in Transformation

Die Antworten auf die drängenden Probleme, mit denen wir heute konfrontiert sind, liegen nicht in grandiosen Einzellösungen. Dafür sind diese Probleme viel zu komplex. Die Lösungen dürften sich eher in Form vieler verschiedener Ansätze finden, die von Menschen entwickelt werden, die die Probleme aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen und verstehen – und die bereit sind, für das grosse Ganze zusammenzuarbeiten. In diesem Beitrag erklärt der Architekt und Bauingenieur Philippe Block, Professor am Departement Architektur der ETH Zürich und Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation, warum der Hochbau als Vorlage für eine kollaborative Transformation dienen könnte – und sollte.

Was ist das grösste Umweltproblem auf unserem Planeten?

Beginnen wir mit einem Mini-Quiz: Welche Branche ist weltweit allein für 40 Prozent der CO2-Emissionen, 40 Prozent des Ressourcenverbrauchs, 40 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Abfallproduktion verantwortlich?

Transport? Landwirtschaft? Konsumgüter? Wie viele haben auf den Bausektor getippt? Das ist nämlich die richtige Antwort. Diese Branche hat enorme Auswirkungen auf unseren Planeten – ebenso viel oder mehr sogar als das Transportgewerbe und die anderen Branchen, die einem vielleicht eher in den Sinn kommen. Ich glaube, wenn wir die Probleme anpacken, die mit der Art und Weise, wie wir unsere Gebäude und Infrastruktur bauen, zusammenhängen, könnten wir einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung unserer Nachhaltigkeitsziele leisten. Und wenn wir die Probleme im Bauwesen erfolgreich lösen, könnten die dort entwickelten Kooperationskonzepte auch als Vorlage für Veränderungen in vielen anderen Bereichen dienen.

Wie könnte der Bau denn als Vorlage für Veränderungen in anderen Bereichen dienen?

Das Problem besteht aus meiner Sicht darin, dass wir eine schrecklich veraltete Art des Bauens haben. Auf die Gefahr hin, zu übertreiben: Im Laufe der Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hat sich ein Modell entwickelt, bei dem ein «Stararchitekt» ein Gebäude vor allem mit dem Ziel entwirft, dass es ästhetisch beeindruckt. Danach ist es an den Ingenieuren, dieses ästhetische Wunder sicher umzusetzen, und an den Bauunternehmern, das Unmögliche möglichst zu vertretbaren Kosten zu bauen.

Das Problem ist, dass keine an diesem Prozess beteiligte Gruppe alle Aspekte überblicken kann. Architekten zum Beispiel können unmöglich alles wissen, was bei der Herstellung eines Gebäudes eine Rolle spielt – etwa die technischen Eigenschaften von Baustoffen oder die Umweltbelastung, die von ihnen ausgeht. Das Ergebnis ist eine gravierende Diskrepanz zu dem, was machbar wäre. Vergleichbares gibt es in keiner anderen Branche: Es ist, als würde man beim Autodesign nicht berücksichtigen, dass ein Rad rund sein muss. Es ist nicht die Schuld eines bestimmten Glieds in der Kette, aber es möchte auch niemand die Verantwortung übernehmen. Das ist natürlich katastrophal, wenn es darum geht, nachhaltige Gebäude und Infrastrukturen zu schaffen, welche die notwendigen ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen optimal erfüllen.

KnitCandela is a sinuous concrete shell built on an ultra-lightweight, computationally designed knitted formwork that was carried from Switzerland to Mexico in a suitcase.

KnitCandela ist eine wellenförmige Betonhülle, die auf einer extrem leichten und aus textilem Gewebe bestehenden Schalung aufgebaut ist. Diese wurde in einem gewöhnlichen Reisekoffer von der Schweiz nach Mexiko gebracht. 

Photo credits: Leo Bieling

Wie kann denn die Baubranche nachhaltigere Ansätze verfolgen?

Nachhaltigkeit ist unglaublich komplex. Wenn Menschen und Organisationen versuchen, eine undifferenzierte Sichtweise von Nachhaltigkeit zu propagieren, und nur an ihre eigene Position denken, bringt uns das überhaupt nicht weiter. Die Bewältigung der komplexen Nachhaltigkeits- und Umweltherausforderungen, vor denen wir stehen, wird mehr als einen grandiosen Wurf erfordern. Es wird viele Lösungen brauchen, die die jeweiligen Fachleute entwickeln, indem sie zusammenarbeiten und dabei den Beitrag der anderen respektieren und wertschätzen – in dem Bewusstsein, dass niemand allein alle Aspekte überblicken kann.

Beim Bau beginnt es beim Designteam: den Architekten und Ingenieuren. Sie sind es, die die Verantwortung für den Umgang mit den Umweltaspekten des Bauens tragen, aber auch alle Möglichkeiten haben. Wenn Architekten und Ingenieure effektiv zusammenarbeiten können und ein echter Transfer von Wissen und Fähigkeiten stattfindet, können wir beginnen, Wege zu finden, mit weniger und umweltfreundlicheren Materialien zu bauen. Architekten, die sich dafür interessieren, was Ingenieure zu sagen haben, können auf deren Fachwissen zurückgreifen, um Entwürfe mit intelligenter Tragwerksgeometrie zu erstellen, anstatt sich immer auf Materialien wie Stahlbeton zu verlassen, um von Natur aus schlechten Bauwerken Stärke zu verleihen. 

Wie passt Ihr Projekt in dieses Bild?

Mein Team und ich arbeiten an einer Lösung, die wohl nur ein Puzzleteil ist – allerdings ein sehr wichtiges. Wir haben uns historische Bauten wie die grossen gotischen Kathedralen oder das Pantheon in Rom angeschaut, um zu sehen, wie sich deren Gewölbetragwerke mit modernen Materialien wie (unbewehrtem) Beton realisieren lassen. Wie sich zeigt, funktioniert dies sehr gut. Schliesslich hat man damals mit einfachen Materialien wie Stein und Ziegel unglaublich komplexe und effiziente Bauwerke gebaut.

Was können wir von diesen antiken Tragwerken lernen, um moderne Gebäude nachhaltiger zu bauen?

Das Geheimnis lag in der Geometrie: Die Tragwerke hatten genau die richtige Geometrie, um den Kraftfluss zu den Stützen zu leiten. Man brauchte keine Stahlarmierung, die es damals natürlich noch nicht gab.

The fan vaulting in King’s College Chapel in Cambridge is as breathtakingly beautiful and strong as the day it was built almost 600 years ago

Das Fächergewölbe der King’s College Chapel in Cambridge ist eine atemberaubende Konstruktion, die so stabil ist wie bereits vor 600 Jahren. 

Photo credits: Kurt Schmidt

Wir haben uns unter anderem überlegt, wie sich gewölbte Geometrien auf Geschossdeckenplatten anwenden lassen, also die Teile eines Gebäudes, auf denen man läuft. Hier habe ich eine weitere «40-Prozent-Statistik»: In mehrstöckigen Gebäuden (mit mindestens zehn Stockwerken), die weltweit das Rückgrat der Stadtplanung bilden, entfallen 40 Prozent des Gewichts auf die Geschossdecken. Daher verwenden wir Mini-Gewölbe anstelle dieser massiven Stahlbeton-Geschossdeckenplatten. Dadurch benötigen wir ein Drittel des Materialvolumens und nur einen Bruchteil der Stahlarmierung. Das Gewölbe-Geschossdeckensystem ist superleicht und sehr emissionsarm, aber auch leicht recyclebar, wenn es nicht wiederverwendet wird (was aber übrigens möglich ist). Es ist eine elegante und absolut praktikable Alternative für das banalste Element jedes Gebäudes. Es kann sogar mittels 3D-Druck  hergestellt werden – anders als noch vor drei Jahren.

Philippe Block and his team have implicit trust in simple materials and smart geometries: here a vaulted floor plate.

Philippe Block und sein Team vertrauen in einfache Materialien und intelligente Geometrien: hier am Beispiel der gewölbten Bodenplatte.

Photo credits: BRG

Sind diese neuen, nachhaltigeren Lösungen praxistauglich?

Wenn jemand skeptisch ist, ob solche Tragwerke, von denen ich spreche, in der Praxis funktionieren, erinnere ich daran, dass Gebäude mit geschwungenen Gewölben und Kuppeln aus unbewehrten Materialien wie das Pantheon in Rom, die grossen Kathedralen der europäischen Gotik und selbst die Ziegelgewölbe der Grand Central Station in New York schon seit Hunderten oder gar Tausenden von Jahren stehen.

Natürlich hilft es auch, wenn moderne Tragwerke mit solchen Geometrien in Neubauten zu sehen sind. Wir haben beispielsweise 2016 für die Internationale Architektur-Biennale in Venedig das Gürteltiergewölbe gebaut, bei dem wir mithilfe einer Stützliniengeometrie ein Tragwerk komplett aus Kalksteinstücken geschaffen haben, das ohne Mörtel, Armierung oder Kleber auskommt und 16 Meter überspannt. Ein weiteres spannendes Beispiel für ein extremes Schalentragwerk, diesmal aus Beton, ist die Einheit HiLo des NEST-Gebäudes (Next Evolution in Sustainable Building Technologies) auf dem Campus der Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) in Dübendorf bei Zürich. Es wird bald für die Öffentlichkeit geöffnet, und ich bin zuversichtlich, dass es diesem disruptiven Baukonzept zum Durchbruch verhelfen wird.

Wie sieht es mit der Skalierbarkeit aus?

Um eine neue Technologie wie diese zu skalieren, reicht es nicht aus, an die Fantasie der Menschen zu appellieren. Es gibt auch viele Hürden etwa in Form von Bauvorschriften, Zertifizierungen, Brandprüfungen und Belastungstests zu überwinden. Natürlich müssen wir sicherstellen, dass neue Techniken und Lösungen sicher und vorschriftsgemäss sind, aber die Branche ist meiner Meinung nach zu risikoscheu und bewegt sich nicht so schnell, wie sie könnte, um mit den Innovationen Schritt zu halten, die aus der Forschung hervorgehen. Es wäre schön, wenn mehr Kunden – auch Privatleute – den Schritt wagen würden. Natürlich besteht immer ein Risiko, wenn man Neues einführt, aber unserer Erfahrung nach geht es immer nur um das finanzielle Risiko, auch wenn die Grenzen auslotet.

Es ist ein vielversprechendes Zeichen, dass sich Regierungen zunehmend dafür interessieren, beim Bau historische Prinzipien zu berücksichtigen. Wir haben Partnerschaften in Südafrika und Indien, und dort sieht man die Vorteile. Gute Beispiele, an denen wir beteiligt waren, sind die Sustainable Urban Dwelling Unit (SUDU) in Äthiopien und das Mapungubwe National Park Interpretation Centre in Südafrika. Diese Projekte haben gezeigt, wie umweltschonende Ziegelgewölbetechniken mit vor Ort hergestellten Flachziegeln aus gepresster Erde und Zement dazu führen können, dass lokales Unternehmertum entsteht und Einkommen und Arbeitsplätze für die lokale Bevölkerung geschaffen werden. 

Technology or magic? The Armadillo Vault for the Biennale International Architecture Exhibition in Venice spans 16 metres without mortar, reinforcement or glue.

Technologie oder Magie? Der Armadillo Vault, der für die Biennale International Architecture Exhibition in Venedig gebaut wurde, hat eine Spannweite von 16 Metern – dies ohne Mörtel, Verstärkung oder Klebestoff. 

Photo credits: Iwan Baan

Wie können wir das Beste aus diesen neuen «alten» Strukturen herausholen?

Das Entscheidende ist, diese modernisierten «alten» Technologien relevant und akzeptabel zu machen. Wie so oft heutzutage ist ein wichtiges Puzzleteil die Digitaltechnologie. Ich habe ja schon erwähnt, dass unsere Gewölbestrukturen per 3D-Druck hergestellt werden können. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von Berechnungen, um heutige Tragwerke zu finden, die historischen Tragwerken entsprechen. Das ist sehr wichtig, denn ein Grossteil der Aufgaben für die Bauwirtschaft wird in den kommenden Jahren aus Renovierungen bestehen. Es wäre ein grosser Fortschritt, wenn wir den Einsatz neuer Materialien bei der Reparatur alter Tragwerke drastisch reduzieren könnten.

Wir müssen die vorhandene Technologie nutzen, um die Philosophie «Reduce, Reuse and Recycle» umzusetzen, also reduzieren, wiederverwenden und recyceln. Reduzieren bedeutet, dass wir versuchen, möglichst wenig zu verändern und dann mit intelligenten Geometrien zu bauen, die den Materialeinsatz minimieren. Wiederverwenden heisst zum Beispiel, alte Bauteile und Gebäude für neue, bedeutendere Zwecke umzunutzen. Erst danach kommt das Recycling. Man muss bedenken, dass fast der gesamte weltweit anfallende Bauschutt auf der Deponie landet – wobei die Schweiz zu den rühmlichen Ausnahmen gehört. Und das ist unhaltbar.

Mich hat gefreut zu hören, dass PwC und der WWF gemeinsam an der Idee der Kreislaufwirtschaft arbeiten. Kreislaufwirtschaft – im Grunde ein Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, Abfälle zu vermeiden und die dauerhafte Nutzung von Ressourcen zu fördern – ist ein entscheidender Ansatz, um Verantwortungslosigkeit zu vermeiden und effektive Wege zu finden, die Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme anzugehen, denen wir gegenüberstehen. 

Wie kommen wir von guten Absichten zu praktikablen Lösungen?
Wie schon gesagt, wird die Umsetzung dieser wunderbaren Ideen Mechanismen erfordern, die eine viel engere Kooperation und Koordination ermöglichen. Ein Beispiel, wo das noch nicht so gut funktioniert, ist der aktuelle Kampf zwischen der Holz- und der Betonlobby, in dem die einen behaupten, Holz sei gegenüber Beton in Sachen Nachhaltigkeit per Definition überlegen. Dabei stimmt das derzeit auch: Unser Einsatz von Beton ist unglaublich destruktiv. Allerdings liegt das daran, dass wir Beton für alles verwenden, weil er so billig ist. Wir zahlen nicht die wahren Kosten, die etwa in Form von Umweltschäden entstehen. Wenn wir anfangen würden, ihn so zu verwenden, wie er verwendet werden will, und nur dort, wo er gebraucht wird – wie wir es zum Beispiel mit unseren gewölbten Geschossdeckenplatten tun –, könnte Beton tatsächlich anfangen, den Holzbau bei der Umweltbelastung herauszufordern, besonders bei dem Umfang, in dem wir auch in den nächsten Jahrzehnten weltweit bauen müssen. 
Was ist also Ihre Vision von Nachhaltigkeit?

Ich stimme David Attenborough zu, dass wir den Punkt überschritten haben, an dem es reicht, den Planeten so zu hinterlassen, wie wir ihn vorgefunden haben. Wir müssen zu einer Welt zurückkehren, die besser ist: zu einem Planeten im Gleichgewicht. Um die Fehler der letzten Jahrzehnte aktiv auszugleichen, müssen wir mehr tun.

Wie ich am Beispiel des Hochbaus, der mir am Herzen liegt, zu zeigen versucht habe, erfordert dies neuartige Teams und neuartige Kooperationen. Wir müssen lernen, über Grenzen hinweg zu denken und zu arbeiten und das Fachwissen der anderen zu respektieren und es uns anzueignen. Wenn wir das tun, können wir grossartige Ideen realisieren, die wirklich funktionieren – zum Beispiel die zuvor genannten gewölbten Geschossdecken, die viel weniger wiegen, die Umwelt weniger belasten und mit 3D-Druckern aus lokalen Ressourcen hergestellt werden können. Aus meiner Sicht ist dies der Idealfall von Disruption.

Trust in Transformation

Der Mensch bleibt im Mittelpunkt. Ganz gleich, wohin sich der Fortschritt bewegt.

Trust in Transformation. Vertrauen Sie auf einen Partner, der Corporate Responsibility immer wieder ein Stück weiter denkt. 

Mehr erfahren

Philippe Block und die Block Research Group

Professor Philippe Block versteht es, verschiedene Welten zu verbinden. Der mehrfach preisgekrönte Architekt und Bauingenieur, der an der VUB in Belgien und am MIT in den USA studiert hat, baut in seinen jetzigen Funktionen (buchstäblich) Brücken zwischen theoretischer Forschung und praktischem Hochbau.

Am Institut für Technologie in der Architektur der ETH Zürich leitet er gemeinsam mit Dr. Tom Van Mele die Block Research Group (BRG). Ausserdem ist er Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) Digitale Fabrikation und Mitglied des Verwaltungsrats von LafargeHolcim.

Zu den Schwerpunkten der Forschung Blocks gehören die computergestützte Formfindung sowie die Optimierung und der Bau von Tragwerken mit gekrümmten Oberflächen – insbesondere unbewehrten Mauerwerksgewölben und Betonschalen. Im Rahmen von Aufträgen etwa zur Strukturprüfung von Baudenkmälern und zur Planung und Konstruktion neuartiger Schalentragwerke wendet er die Forschung auch in der Praxis an.

 

Portrait photo credits: Elisabeth Real

#social#

Weitere Transformation Stories lesen

Registrieren Sie sich, um Benachrichtigungen über neue Stories zu erhalten.

Stories abonnieren

Kontaktieren Sie uns

Andreas Staubli

Andreas Staubli

CEO, PwC Switzerland

Tel.: +41 58 792 44 72