Im Fokus: Nachhaltige Finanzierung

Nachhaltig investieren heisst weitsichtig entscheiden

Dimitri Senik
Director, Investor Trust Services Leader, PwC Schweiz

Finanz- und Realwirtschaft hängen unzertrennlich zusammen. So eröffnet nachhaltige Finanzierung («Sustainable Finance») nicht nur der Finanzbranche, sondern sämtlichen Wirtschaftsakteuren ein enormes Potenzial, Wert zu schöpfen und Wirtschaftssysteme nachhaltig mitzugestalten. Denn Nachhaltigkeit birgt Chancen in der gesamten Wertschöpfung und wirkt sich positiv auf die Performance aus. In diesem Sinn sollten Kapitalnehmer und -geber Nachhaltigkeit zum Standardkriterium ihrer Investitionsentscheidungen erklären.

Nachhaltiges Wirtschaften steht schon lange auf der Agenda der Weltgemeinschaft – und damit auch der Schweiz. Diverse Initiativen wurden auf staatlicher Ebene vereinbart und sollen die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen sichern.


Was bisher geschah

  • Der UN Global Compact wurde 2000 als weltweit bedeutsamste Initiative für verantwortungsvolle Unternehmensführung gegründet. Er strebt eine inklusive und nachhaltige Weltwirtschaft an.
  • Im Pariser Klimaabkommen von 2015 verpflichteten sich die Unterzeichnerstaaten, für ihre Treibhausgasemissionen ein nationales Reduktionsziel festzulegen.
  • Mit den 17 «Sustainable Development Goals» definierten die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen 2015 eine Vision der nachhaltigen Entwicklung, die soziale, wirtschaftliche und umweltpolitische Aspekte vereint. Die Addis Ababa Action Agenda leitete daraus Finanzierungsbedürfnisse ab.
  • 2017 initiierten das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) die Pilotanalyse der Klimaverträglichkeit von Finanzportfolios. Diese Tests werden ab 2020 einem erweiterten Kreis von Finanzdienstleistern kostenlos angeboten.
  • 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission den Aktionsplan «Sustainable Finance». Sie verlangt dessen Integration in bestehende Finanzmarktregulierungen sowie deren punktuelle Ergänzung.
  • Zahlreiche privatwirtschaftliche Unternehmen unterstellen sich Prinzipien, um gemeinsam zu nachhaltigen Investitionen beizutragen (z. B. die UN Principles for Responsible Investment UNPRI).
  • Im März 2019 begrüsste der Schweizerische Pensionskassenverband ASIP in der Fachmitteilung Nr. 116, dass immer mehr Pensionskassen auch Klima-, Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Aspekte in ihre Vermögensbewirtschaftung integrieren.
  • Im Juni 2019 sprach sich der Bundesrat für einen nachhaltigen Finanzplatz Schweiz aus und setzte eine Arbeitsgruppe ein. Diese wird im Frühjahr 2020 ihre Schlussfolgerungen zu den Auswirkungen des Aktionsplans der EU auf den Schweizer Finanzplatz vorlegen und eine Bilanz der bisherigen Massnahmen ziehen.

Die Wege von Gesellschaft und Regulator

Der Ruf der Öffentlichkeit nach griffigen Umweltschutzmassnahmen führte zu einer Sensibilisierung von Politik und Wirtschaft. Der EU-Aktionsplan strebt eine einheitliche Bewertung des Nachhaltigkeitsniveaus von Investitionen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistung an. Unter «nachhaltigen Finanzen» versteht er jede Form von Finanzdienstleistung, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (Environmental, Social, Governance, ESG) in Geschäfts- oder Investitionsentscheidungen zum nachhaltigen Nutzen von Kunden und Gesellschaft integriert (vgl. Abbildung 1).

Die EU fordert also, dass ESG-Faktoren in die Anlageentscheidung und Risikobewertung einfliessen. Das setzt standardisierte Offenlegungspflichten sowie neue Referenzwerte für CO2-arme Investitionen und CO2-günstige Bilanzen voraus.

Abbildung 1: Der EU-Aktionsplan gliedert das Finanzsystem nach Umwelt, Sozial und Governance (ESG).

Vielschichtige Opportunität

Nachhaltigkeit erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette eines Finanzunternehmens, von der Entwicklung und Produktgestaltung über die Transaktionsabwicklung und Portfolioverwaltung bis zum Vertrieb und Kundenmanagement – und weit in die Realwirtschaft hinein (vgl. Abbildung 2). Das Potenzial von nachhaltigen Investitionen steigt. In der Schweiz hat es 2018 mit 717 Milliarden CHF einen neuen Höchststand erreicht (vgl. Swiss Sustainable Finance Annual Report 2018, SSF, 2019). Und schliesslich leisten Investoren und Kapitalgeber und -nehmer mit ihrer ESG-Ausrichtung einen konkreten Beitrag zum Erreichen der globalen Klimaziele und zugunsten einer nachhaltigen Gesellschaft.

 

Abbildung 2: Nachhaltigkeit ist in jedem Schritt der Wertschöpfung enthalten.

Eine Frage der Ambition

An ESG-Forderungen kommen Finanzdienstleister nicht vorbei. Als Erstes stellt sich die Frage, welches Ambitionsniveau sie anpeilen (vgl. Abbildung 3). Der Minimalstandard besteht darin, die rechtlichen Bestimmungen zu erfüllen. Es bestehen bereits Selbstregulierungsrichtlinien wie diese des Schweizer Vereins für verantwortungsbewusste Kapitalanlagen (SVVK-ASIR). Eine Spitzenposition übernimmt, wer sich in diesem Thema gezielt positioniert, innoviert und sich den marktwirtschaftlichen Mehrwert zunutze macht.

Abbildung 3: Je nach Ambitionsniveau rücken unterschiedliche Fragen in den Mittelpunkt der Nachhaltigkeitsdiskussion.

Mehr als eine Herausforderung

Je nachdem, mit welcher Haltung ein Unternehmen seine Anlage- und Finanzierungsentscheide fällt oder grüne Finanzprodukte anstrebt, ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen und strategische Diskussionspunkte.

Viele Anleger halten Investments nach ESG-Kriterien für weniger potent. Das ist ein Trugschluss. Tatsache ist, dass Unternehmen, die Nachhaltigkeitsgrössen in ihre finanzielle Bewertung integrieren, mindestens eine ebenso gute Performance ausweisen wie solche, die das nicht tun. Unternehmen mit einem hohen ESG-Anspruch verstehen besser, was die Leistungsfähigkeit stärkt oder schwächt, und setzen sich ESG-Risiken weniger aus.

Wer beim Investieren nach ESG-Kriterien selektiert, streicht oft ganze Industrien (Alkohol, Tabak, Spiele, (umstrittene) Waffen, Zement). Dieser Ausschluss ist für nachhaltiges Wirtschaften und Transformieren nicht immer zielführend. Die globale Zementproduktion zum Beispiel ist für 7% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich (vgl. Cement Produces More Pollution Than All the Trucks in the World, Bloomberg, 2019). Aber ohne Zement keine Energieinfrastruktur. Und: Der Ausschluss von umstrittenen Waffen wirft die ethische Frage auf, wie man mit Finanzinstrumenten von Staaten, die umstrittene Waffen in Auftrag geben, umgeht.

Unternehmens- und Firmenwert können eng miteinander verknüpft sein. Etwa dann, wenn Unternehmen tief in ihrer Region verankert sind oder sich starke Unternehmerpersönlichkeiten philanthropisch engagieren. Das Wertegerüst eines Unternehmens kann sich merklich auf seine betriebswirtschaftliche Leistung auswirken (vgl. UBS/PwC Billionaires Report 2019, UBS, 2019), gerade in Familienunternehmen.

Noch existieren keine klaren ESG-Standards, nach denen Nachhaltigkeit offengelegt und bewertet wird. Ratingagenturen messen die ESG-Fitness der Firmen nach unterschiedlichen Methoden und setzen ungleiche Massstäbe an. So korrelieren ESG-Ratings kaum und ein faktenbasierter Vergleich von ESG-Investitionen ist unmöglich. Hier empfiehlt sich die sorgfältige Auswahl des Drittanbieters für eine Erstbeurteilung und danach die Anwendung zusätzlicher Beurteilungskriterien.

Gewisse Anlageklassen lassen sich leicht beurteilen. Bei den Aktien von börsenkotierten Unternehmen zum Beispiel herrscht ESG-Transparenz. Die Beurteilung von Obligationen präsentiert sich schwieriger. Emittenten von Obligationen lassen sich zwar auf gleiche Weise bewerten wie Aktienemittenten. Doch zurzeit gibt es kein Format, mit dem sich eine Obligation ausserhalb von Green oder Climate Bonds nach ESG-Kriterien bewerten liesse.

Bei den alternativen Anlageklassen und Geldmarktinstrumenten ist eine Beurteilung nach ESG-Kriterien mangels Normierung ebenfalls problembehaftet. Im Immobiliensektor entwickeln sich derzeit Standards für Energieeffizienz und nachhaltiges Bauen. Trotz allem empfehlen wir, eine individuelle ESG-Beurteilung vorzunehmen.

Vogelperspektive empfohlen

Nachhaltigkeit ist ein hoch vernetzter Anspruch, der weit über die Klima- und Expertendiskussion hinausgeht. Sie betrifft den vollständigen Wertschöpfungskreis, die gesamte ökonomische Marktleistungsgestaltung und deren Finanzierung. Entsprechend ganzheitlich und vorausschauend sollten Entscheidungsträger den Nachhaltigkeitsgrad von Anlagen beurteilen. Denn: Ignorieren kann man Nachhaltigkeit nicht. Bundesrat, Parlament, Finanzmarktaufsicht, Schweizerische Nationalbank und weitere Akteure des Finanz- und Wirtschaftsplatzes Schweiz haben das Thema auf dem Radar. In nicht allzu ferner Zukunft werden Regulator und Standardsetter Richtlinien schaffen. Spätestens dann sollten die Unternehmen ESG-bereit sein.

Zusammenfassung

Der EU-Aktionsplan strebt eine einheitliche Bewertung des Nachhaltigkeitsniveaus von Investitionen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistung an. Unter «nachhaltigen Finanzen» versteht er jede Form von Finanzdienstleistung, die Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien (Environmental, Social, Governance, ESG) in Geschäfts- oder Investitionsentscheidungen zum nachhaltigen Nutzen von Kunden und Gesellschaft integriert.

Schon bald werden Regulator und Standardsetter Richtlinien schaffen. Für die Unternehmen stellt sich daher als Erstes die Frage nach dem Ambitionsniveau. Der Minimalstandard besteht im Erfüllen der rechtlichen Bestimmungen. Eine Spitzenposition übernimmt, wer sich in diesem Thema positioniert und sich den Mehrwert zunutze macht.

Je nach Haltung ergeben sich weitere Herausforderungen: Setzt man auf Nachhaltigkeit oder Rentabilität, Ausschluss oder Transformation, Assets oder Performance? Welchen Standards folgt man? Um welche Anlageklassen geht es?

Nachhaltigkeit betrifft die gesamte ökonomische Marktleistungsgestaltung und deren Finanzierung. Entsprechend ganzheitlich sollten Entscheidungsträger den Nachhaltigkeitsgrad von Anlagen beurteilen.

Hier finden Sie weiterführende Informationen zu nachhaltiger Finanzierung.


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Dimitri Senik

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Leader Investor Trust Services, PwC Switzerland

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